Lacunars Fluch, Teil 4: Rastafans Buße (German Edition)
es um die Fähigkeiten bestellt sei. Die Vernünftigeren meinten, sie seien froh, dass Taymar nicht mehr über sie herrsche, aber irgendjemand müsse es schließlich tun, und das seien immer Hochgeborene aus Margan gewesen.«
»Immer, soso«, murmelte Rastafan.
»Zwei Männern bin ich begegnet«, fuhr Orchan fort, »denen hätte ich das Amt zugetraut, aber beide lehnten es ab, weil sie Auseinandersetzungen mit ihren Nachbarn fürchteten. Die Leute sind eher zufrieden mit einem Fremden aus Margan, als einem der Ihren zur Macht zu verhelfen. Wer Bauer war, der soll Bauer bleiben, das ist die verbreitete Meinung. Sie glauben, man dürfe sich nicht über seinen Stand erheben. Sie kennen es nicht anders. Man hat es ihnen jahrhundertelang so erzählt.«
Rastafan hatte mit wachsender Ratlosigkeit zugehört. Er erinnerte sich daran, dass die wenigen, die ihr Schicksal nicht hingenommen hatten, in die Wälder gegangen waren, um als Gesetzlose zu leben. Die meisten jedoch hatten die für ihn unvorstellbare Auffassung vertreten, sie seien von Geburt an minderwertiger als jene kleine Schicht, die zu den Auserwählten gehörte.
»Muss ich mir heute nur Stumpfsinn anhören?«, grollte er. »Zuerst die Sonnenpriester, dann die Dummköpfe aus Caschu. Diese Narren verdienen offenbar nichts Besseres als Taymar.«
Orchan hob zögernd die Hand. »Herr darf ich …«
»Herr?« Rastafan schien sich langsam wieder auf das Gespräch konzentrieren zu können. »Sagte ich dir nicht, wenn wir unter uns sind, bin ich Rastafan für dich?«
»Oh.« Orchan errötete. »Ich habe das gewiss nicht vergessen, aber man weiß nie, wie lange so ein Angebot gilt.«
»Du meinst, eines Königs? Weil Könige von Natur aus launisch und unberechenbar sind? Weil sie heute nicht wissen, was sie gestern gesagt haben?«
»Herr – ich meine Rastafan, deine Stimmung ist heute nicht die Beste, und da dachte ich …«
»Stimmt!«, unterbrach ihn Rastafan gereizt. »Ich sehe, ich bin von Schwachköpfen umgeben, das wird wohl der Grund sein. Also sprich! Du hattest einen Einwand?«
»Du bist zu streng mit den einfachen Leuten. Es sind keine Schwachköpfe, sie sind nur ungebildet.«
»Ungebildet waren viele meiner Berglöwen auch. Und dennoch ertrugen sie das Joch nicht. Die anderen besitzen Sklavenseelen. Ich habe bei meinen Bemühungen das Gefühl, Wasser in ein Sieb zu schöpfen.«
»Aus dem Sieb muss ein Topf werden. Aber das braucht Zeit und Geduld.« Orchan senkte den Blick, denn er fand, es gehörte sich für ihn nicht, Rastafan zu belehren. Gleichzeitig erkannte er, dass auch aus ihm selbst noch kein Topf geworden war, wenn er so dachte.
Vielleicht hatte Rastafan Ähnliches erwogen, jedenfalls lächelte er. »Du hast recht. Das habe ich nun schon viele Male gehört, seit ich den verfluchten Thron Margans bestiegen habe. Hast du neben deinen Ermahnungen auch noch einen brauchbaren Rat für mich, wie es in Caschu weitergehen soll?«
»Ohne einen Vorschlag im Gepäck hätte ich nicht gewagt, dich zu belästigen. Ich rate dazu, einen mit Verwaltungsaufgaben vertrauten Mann nach Caschu zu schicken. Und wie es der Zufall will, kenne ich jemanden, der geeignet wäre. Es handelt sich um Jagorn, den Bruder Taymars.«
»Den Bruder? Sind die Mücken verflogen, kommen die Wespen gezogen.«
»So könnte man denken. Aber Jagorn liegt schon seit Jahren mit seinem Bruder im Streit, weil er mit dessen Art und Weise, Caschu zu regieren, nicht einverstanden war.«
»So? Und weshalb war er dann nicht bei mir und hat Beschwerde geführt?«
»Weil er in Drienmor ist und nichts von den Ereignissen hier wusste.«
»Aber eben jetzt erfuhr er davon?«
Orchan lächelte. »Natürlich durch mich. Ich kenne ihn von früher und erinnerte mich an ihn. Er ähnelte seinem Bruder kein bisschen. Ich kann ihn wirklich empfehlen.«
»Du hast mir bis jetzt gute Leute empfohlen. Aber das hättest du schon längst in Angriff nehmen können. Dann hätten wir uns manches erspart.«
»Ich wollte der Sache mit den Wahlen nicht vorgreifen. Schließlich sind sie eine erfrischende Idee, die ich nicht von vornherein abwürgen wollte. Du hättest vermuten können, ich hegte Vorurteile gegen die Bevölkerung von Caschu. Das tat ich nicht.«
»Du hast recht. Ich werde mir diesen Jagorn einmal ansehen. Oh, weshalb stehst du eigentlich? Nimm doch Platz. Wie wäre es jetzt mit einem Becher Marfander?«
~·~
»Tasman, ich habe hier ein Schreiben für Lacunar. Es darf niemand anderem in
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