Lacunars Fluch, Teil 4: Rastafans Buße (German Edition)
tappten sie durch die Finsternis.
Die Anspannung, unter der sie standen, war ungeheuer. Heute ging es um alles. Und jeder wusste, dass der andere es wusste. Sie waren unterwegs zu großem Reichtum, doch keiner von ihnen beabsichtigte zu teilen. Schweigend setzten sie ihren Weg fort, denn jeder plante des anderen Tod.
Radomas, der erkannte, dass sie den Weg zur Pyramidenspitze eingeschlagen hatten, überlegte fieberhaft, wo sich der Eingang wohl verbarg. Oder gab es ihn gar nicht? Wollte Lacunar ihn in eine Falle locken? Doch was für eine Falle konnte das sein? Treibsand? Ein jäher Abgrund? War Lacunar schon hier gewesen oder verfügte er über Geheimnisse, die ihm Caelian zugeflüstert hatte?
Plötzlich ließ Lacunar sich in den Sand fallen. Radomas, der ihn ohnehin nur als schattenhafte Gestalt wahrgenommen hatte, zuckte bei dieser Bewegung zusammen, seine Hand fuhr zum Gürtel, doch er war waffenlos. So war es vereinbart. Jeder hatte darauf geachtet, dass der andere keine Waffe verbarg. »Was ist?«, fauchte er. Seiner Stimme war die Furcht anzumerken, sein Gegner könne ihn mit einer gemeinen List doch noch überrumpeln.
»Wir müssen warten«, sagte Lacunar. »Im Dunkeln finden wir die Spitze nicht. Ich wollte nur genügend Abstand zwischen uns und den Teich legen.«
»Hm, du hast recht.« Radomas ließ sich in einigem Abstand von ihm nieder. »Du willst also zur Spitze? Ich war da. Da gibt es keinen Eingang. Ich hoffe, du willst mich nicht reinlegen.«
»Nur weil du blind bist wie eine Schleiche, bedeutet es ja nicht, dass es dort keinen Eingang gibt.«
»Wo sollte der denn sein? Am Fuß der Pyramide ist der Sand …«
»Warte es doch ab, lieber Schwiegersohn. Die Krüge bekommen schon keine Beine.«
»Es wird ein Problem sein, den Schatz zu bergen. Man muss genau überlegen, wen man einweiht.«
Mach dir darum keine Gedanken, dachte Lacunar. Glaubst du, ich lasse dir auch nur ein kupfernes Armband? Tote benötigen keine Schätze.
»Ich kann all meinen Leuten trauen«, erwiderte er spitz. »Aber wer wie du die Treue seiner Männer kaufen muss, wird Schwierigkeiten haben, das sehe ich ein.«
Du traust also deinen Leuten?, dachte Radomas. Dann bist du ein Narr, aber wen kümmert’s, ob du bald ein toter Narr oder ein toter Lacunar sein wirst.
Als der erste Sonnenstrahl den Sand oben an der Abbruchkante rosa färbte, erhoben sich die beiden und ließen ihre Blicke geschäftig über den Kamm wandern. »Vielleicht sind wir schon vorbei«, meinte Radomas.
»Möglich«, gab Lacunar zu. »Im Gegensatz zu dir bin ich schließlich zum ersten Mal hier. Caelian meinte, es handele sich um eine Stunde Fußweg, aber wir sind sehr langsam vorangekommen.«
Sie stapften weiter. Es wurde heller, und das Glück war mit ihnen. Die Morgensonne fiel auf die Spitze und ließ sie verheißungsvoll glitzern. »Da ist sie!«, riefen sie beide wie aus einem Munde. Aber da sie mit ihren Blicken ständig die Kuppe abgesucht hatten, hätten sie diese wohl auch so gefunden.
Radomas blieb stehen und stemmte die Fäuste in die Hüften. »Also Schwiegervater, wo ist der Eingang?«
Lacunar wies hinauf. »Da oben.«
»An der Spitze? Du scherzt. Wer bringt da eine Tür an? Damals gab es schließlich noch keine Düne, auf der man hinaufsteigen konnte.«
»Aber eine Tafel, die gibt es dort, oder?«
Radomas stutzte. »Ja, das stimmt.«
»Nun, sie ist genauso überflüssig, denn wer soll die Schrift da oben lesen?«
»Ich dachte, die Götter.«
Lacunar schnaubte verächtlich. »Aber Schwiegersohn, daran glaubst du doch nicht wirklich?«
Radomas begann, vor Aufregung zu schnaufen. »Du meinst – du meinst doch nicht etwa, die Tafel ist die Tür?«
»Das genau meine ich.«
»Siebenmal verfluchte Sandhexen!« Radomas schien kurz vor einem Anfall zu stehen. Sein Gesicht verfärbte sich dunkelrot, und er reckte die Fäuste nach oben. »Ich war da! Ich stand direkt davor! Und ich bin umgekehrt!« Er musterte Lacunar mit irrem Blick. »Weißt du, was das heißt? Weißt du das?«
»Ich kann es mir vorstellen«, erwiderte dieser kühl und deutete auf die Spitze. »Jetzt müssen wir klettern.«
Radomas machte zwei, drei Sätze, als wolle er den Abhang hinauffliegen, blieb dann aber abrupt stehen und sah sich um. »Nein, geh du voran!«, befahl er. »Dich will ich nicht im Rücken haben.«
»Oh, ich dachte, du wolltest der Erste sein, der oben ist.«
Radomas schüttelte den Kopf. »Wir steigen gemeinsam hinauf.
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