Lady Almina und das wahre Downton Abbey: Das Vermächtnis von Highclere Castle (German Edition)
gesellschaftlichen Beziehungen, auf die sich ihr Leben und ihr öffentliches Ansehen stützten. In jener Zeit lud Lord Carnarvon bevorzugt Bekannte aus Ägypten nach Highclere Castle ein. Er begann, eine ansehnliche Sammlung kleiner exquisiter Artefakte aus Ägypten anzulegen. Lord Carnarvon funktionierte das Frühstückszimmer zu einem »Antiquitätenzimmer« um und bestellte – über das British Museum – Vitrinen für eine angemessene Präsentation. Almina musste sicherstellen, dass das Personal den Speisesaal nach dem Abendessen vollständig aufräumte, da die Familie von nun an das Frühstück dort einnahm.
Mit solch geringfügigen Aufgaben war Almina allerdings nicht ausgelastet. Ihrer Vitalität mangelte es an Betätigungsfeldern, und sie sah sich permanent nach Aufgaben um, die über den gesellschaftlichen Trubel und die Führung des Haushalts von Highclere Castle hinausgingen.
Eine Zeit lang fühlte sie sich offenbar zur Politik berufen. 1910 war für Großbritannien ein turbulentes Jahr. 1909 hatte der Schatzkanzler der liberalen Regierung, David Lloyd George, den Haushaltsplan »People’s Budget« eingeführt. Dieser enthielt eine radikale Reform des Steuersystems, die explizit darauf ausgelegt war, zugunsten der öffentlichen Wohlfahrt Gelder von den Wohlhabenden auf die Armen umzuverteilen. Außerdem enthielt er eine umstrittene Grundsteuer. Der Haushaltsplan wurde vom Oberhaus des britischen Parlaments abgelehnt. Der dadurch ausgelöste Aufruhr zog 1910 Parlamentswahlen nach sich, die eine Regierung hervorbrachte, bei der die Liberalen auf die Unterstützung der Konservativen und der irischen Nationalisten angewiesen waren. Die Liberalen besaßen nur zwei Sitze mehr als die Konservativen und versuchten sofort, das Vetorecht des Oberhauses zu beschneiden. Um die Jahresmitte rechnete jeder damit, dass erneute Parlamentswahlen angesetzt werden würden, denn die Regierung war, sowohl in Hinblick auf den Haushaltsplan als auch auf die Frage der autonomen Selbstverwaltung Irlands, handlungsunfähig.
Bei der konservativen Wählerschaft hatte sich angesichts der möglichen Teilung des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Irland, der Versuche, der Liberalen Partei, das Oberhaus zu reformieren, der Einwanderungspolitik und des National Insure Act, der Kranken- und Arbeitslosenversicherung einführte, großer Unmut aufgestaut. Almina empfand es als ihre Pflicht, sich für die Belange der konservativen Partei einzusetzen, und stellte in Erwartung eines gesteigerten Arbeitsaufkommens eine Sekretärin, Miss Mary Weeks, ein.
Mary, die vorher für Alfred de Rothschild gearbeitet hatte und überaus tüchtig war, kam mit dem etwas sprunghaften Stil, der für Almina wie für ihren Vater charakteristisch war, gut zurecht. Die Aufgabengebiete entsprachen ziemlich genau dem Betätigungsfeld einer heutigen persönlichen Assistentin: Sie übernahm die Organisation für die von Almina in London wahrgenommenen Termine, koordinierte in Highclere Alminas Aufgaben und begleitete sie auf allen ihren Reisen. Sie war groß und schlank und brachte Almina größte Loyalität entgegen. Sie war außerdem ein Zeichen für den Wandel der Zeit, denn sie war eine Frau in den Diensten der Countess, die keine Dienerin im engeren Sinne und gewiss keine Zofe war.
Mary half Almina dabei, ihre Rolle weit über die Grenzen von Highclere hinaus auszudehnen. In Highclere Castle ist ein Sammelbuch erhalten, in dem die aller Wahrscheinlichkeit nach von Mary mit einer Schreibmaschine angefertigten Niederschriften der Reden, die Almina 1910 und 1911 hielt, eingeklebt sind. Die Ansprachen reichen von kurzen Grußworten bei Dorffesten wie »Mit Freude erkläre ich diesen Basar für eröffnet!« bis zu Vorträgen vor den Damen der konservativen Unionist Association von South Berkshire.
Alminas Reden bei politischen Veranstaltungen waren emotionsgeladen, ihre Sprache zielte darauf ab, zu Herzen zu gehen und den Kampfgeist ihrer Zuhörer zu beflügeln. In einer Ansprache, die sich gegen die Absichten der liberalen Regierung, das Oberhaus zu reformieren, richtete, verwies sie zum Beleg der Tatsache, dass eine Umstrukturierung unnötig war, darauf, dass die Lords das Recht aller Eltern verteidigten, die Form der religiösen Erziehung ihrer Kinder frei zu wählen. Alminas Rhetorik ist perfekt auf die jeweilige Zuhörerschaft abgestimmt und ihr Ton überaus selbstbewusst. »Wir sind der festen Überzeugung, dass die Armen dasselbe Recht
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