Lady Chatterley (German Edition)
Bier zurückkam, hatte sein Gesichtsausdruck sich wieder verändert. Connie setzte sich in der Nähe der Tür nieder, und Hilda nahm auf einem Stuhl Platz, mit dem Rücken zur Wand auf der Fensterseite.
«Das ist sein Stuhl», sagte Connie leise. Und Hilda fuhr auf, als hätte sie sich verbrannt.
«Bleiben Sie doch sitzen! Bleiben Sie nur! Nehmen Sie den Platz, auf den Sie Lust haben – von uns ist keiner der Boss hier», sagte er mit völligem Gleichmut.
Und er brachte Hilda ein Glas und schenkte zuerst ihr das Bier aus dem Krug ein.
«Ach ja, Zigaretten», sagte er, «ich hab keine, aber vielleicht haben Sie eigene. Ich rauche nämlich nicht. Wollen Sie was essen?» – Dann wandte er sich an Connie: «Willst nicht was essen, wenn ich’s dir bringe?» Er sprach mit merkwürdiger, gelassener Sicherheit im Dialekt, so, als sei er der Wirt des Gasthauses.
«Was ist da?» fragte Connie und wurde rot.
«Gekochter Schinken, Käse, gesalzene Nüsse, wenn du willst. Nicht viel.»
«Ja», sagte Connie. «Du nicht auch, Hilda?»
Hilda sah zu ihm auf.
«Warum sprechen Sie Dialekt?» fragte sie ruhig.
Kaum merklich grinsend fing er ihren Blick auf.
«Sie haben doch vorhin ganz richtig gesprochen», setzte Hilda hinzu.
«Tat ich das? Und darf ich nicht wechseln, wenn’s mir danach ist? Na, lassen Sie mich man ruhig Dialekt reden, wenn’s mir so paßt. Falls Sie nichts dagegen haben.»
«Es klingt ein wenig affektiert», sagte Hilda.
«Vielleicht tut es das. Und oben in Tevershall würde Ihre Redeweise affektiert klingen.» Wieder sah er sie an, seitwärts über seine Backenknochen hinweg, mit einer sonderbaren, abschätzenden Distanz, als wolle er sagen: Oje, wer bist du denn schon?
Er ging zur Speisekammer, um das Essen zu holen.
Die Schwestern blieben stumm sitzen. Er brachte einen dritten Teller und Messer und Gabel dazu. Dann sagte er:
«Und wenn es Ihnen nichts ausmacht, werde ich meine Joppe ausziehen, wie immer.»
Und er zog seine Joppe aus, hängte sie an den Haken und setzte sich dann in Hemdsärmeln zu Tisch: er trug ein Hemd aus dünnem, cremefarbenem Flanell.
«Greift zu!» sagte er. «Greift zu! Wartet nicht, daß ich euch auffordere.»
Er schnitt das Brot und saß dann regungslos. Hilda empfand wie Connie früher die Macht seines Schweigens und seiner Unnahbarkeit. Sie sah seine kleine, feinnervige Hand entspannt auf dem Tisch liegen. Er war kein einfacher Arbeiter, der nicht! Er schauspielerte! Schauspielerte!
«Jedenfalls», sagte sie und nahm ein Stück Käse, «wäre es natürlicher, wenn Sie vernünftig mit uns sprächen und nicht im Dialekt.»
Er sah sie an und spürte ihren Willensteufel.
«Meinen Sie?» entgegnete er ohne jede mundartliche Färbung. «Meinen Sie wirklich? Wäre irgend etwas, das Sie und ich einander sagen könnten, natürlich – außer, Sie sagten, Sie wünschten mich zur Hölle, bevor Ihre Schwester mich noch einmal wiedersehen kann, und außer ich erwiderte etwas ebenso Unerfreuliches? Wäre irgend etwas anderes ganz natürlich?»
«O ja!» sagte Hilda. «Einfach gute Manieren – die wären ganz natürlich!»
«Zweite Natur sozusagen!» sagte er; dann lachte er. «Nein», sagte er, «ich hab die Manieren satt. Lassen Sie mich in Ruh damit!»
Hilda war sichtlich vor den Kopf gestoßen und voller Wut und Ärger. Schließlich konnte er wohl zeigen, daß er sich der Ehre bewußt war, die man ihm erwies. Statt dessen schien er mit seinem Schauspielern und seinem überheblichen Gehabe zu denken, er sei es, der die anderen beehrte. Was für eine Frechheit! Arme, irregeleitete Connie – in den Fängen dieses Mannes!
Schweigend aßen die drei weiter. Hilda gab acht, wie es mit seinen Tischmanieren aussähe. Gegen ihren Willen mußte sie zugeben, daß er instinktiv viel geschliffener und wohlerzogener war als sie. Sie war von einer gewissen schottischen Plumpheit. Und er besaß obendrein noch die ganze gelassene, selbstgenügsame Sicherheit des Engländers – nirgendwo war ihm beizukommen. Es würde sehr schwer sein, ihm gegenüber die Oberhand zu gewinnen.
«Und glauben Sie wirklich», fing sie wieder an, ein wenig menschlicher jetzt, «daß es das Risiko wert ist?»
«Daß was welches Risiko wert ist?»
«Diese Eskapade mit meiner Schwester.»
Sein irritierendes Grinsen flackerte auf.
«Fragen Sie sie doch!»
Dann sah er Connie an.
«Du kommst doch aus eigenem Willen zu mir, Mädchen, nicht wahr? Oder zwing ich dich dazu?»
Connie sah Hilda an.
«Ich
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