Lady Chatterley (German Edition)
übernachten, das, wenn man gut fuhr, nur eine halbe Stunde entfernt war. Aber sie war wütend. Sie verzieh es der Schwester nicht, daß sie ihr diesen Strich durch die Rechnung machte.
Connie ließ einen smaragdgrünen Schal vom Fenstersims flattern.
Vor lauter Zorn auf Connie wurde Hilda herzlicher gegen Clifford. Immerhin besaß er Geist. Und wenn er ohne Geschlecht war – funktionell –, um so besser; um so weniger Gründe gab es zu streiten. Hilda hatte genug von allem Sexuellen, bei dem die Männer widerliche, selbstsüchtige kleine Scheusale wurden. Connie hatte weiß Gott weniger durchzumachen als viele andere Frauen – wenn sie es nur wüßte.
Und Clifford kam zu dem Schluß, daß Hilda letzten Endes doch eine entschieden intelligente Frau sei und einem Mann eine erstklassige Hilfe sein könnte, wenn der Mann sich, sagen wir, politisch betätigte. Ja, sie hatte nichts von Connies Dummheit. Connie war eher ein Kind: man mußte ihr vieles nachsehen, denn sie war nicht ganz zurechnungsfähig.
In der Halle nahm man dann zeitig den Tee ein, und die Türen standen weit offen, um die Sonne hereinzulassen. Jedermann schien ein wenig außer Atem.
«Auf Wiedersehen, Connie-Mädchen! Komm heil zu mir zurück!»
«Auf Wiedersehen, Clifford! Ja, ich bleibe nicht lange.» Connie war geradezu zärtlich.
«Auf Wiedersehen, Hilda! Du hast ein Auge auf sie, nicht wahr?»
«Zwei werde ich auf sie haben!» erwiderte Hilda. «Sie wird nicht weit abhanden kommen.»
«Das Versprechen gilt!»
«Auf Wiedersehen, Mrs. Bolton! Ich weiß, Sir Clifford wird es an nichts fehlen bei Ihnen!»
«Ich werde tun, was ich kann, Euer Gnaden!»
«Und schreiben Sie mir, wenn es etwas Neues gibt, und auch, wie es Sir Clifford geht!»
«Gewiß, Euer Gnaden, das mach ich. Und verleben Sie eine schöne Zeit, und kommen Sie wieder und heitern Sie uns auf!»
Alle winkten. Das Auto fuhr davon. Connie blickte zurück und sah Clifford oben auf der Treppe in seinem Stuhl sitzen. Er war schließlich doch ihr Mann. Wragby war ihre Heimat. Die Umstände hatten es so gefügt.
Mrs. Chambers hielt das Tor auf und wünschte Ihrer Gnaden eine gute Reise. Der Wagen glitt aus dem dunklen Gesträuch, das den Park umgab, auf die offene Straße hinaus, auf der die Grubenarbeiter nach Hause trotteten. Hilda schwenkte in die Crosshill Road ein, eine Landstraße, die nach Mansfield führte. Connie setzte eine Autobrille auf. Sie fuhren an der Bahnstrecke entlang, die in einer Senke neben ihnen herlief. Dann überquerten sie die Senke auf einer Brücke.
«Da ist der Weg zum Forsthaus!» sagte Connie.
Hilda sah ungeduldig hin.
«Es ist jammerschade, daß wir nicht durchfahren können», sagte sie. «Wir hätten um neun herum in der Pall Mall sein können.»
«Es tut mir leid für dich», erwiderte Connie hinter ihrer Riesenbrille hervor.
Sie hatten Mansfield bald erreicht, diese einstmals romantische, jetzt äußerst trostlose Bergwerksstadt. Hilda hielt vor dem Hotel, das im Autoführer verzeichnet war, und nahm ein Zimmer. Die ganze Angelegenheit war höchst uninteressant, und sie war fast zu wütend zum Reden. Aber Connie mußte ihr ein wenig von der Geschichte dieses Mannes erzählen.
« Er! Er! Mit welchem Namen redest du ihn denn an? Du sagst immer nur er !» monierte Hilda.
«Ich hab ihn noch nie mit einem Namen angeredet, und er mich auch nicht – sehr komisch, wenn man es bedenkt. Außer, daß wir Lady Jane und John Thomas sagen. Aber er heißt Oliver Mellors.»
«Und wie würde es dir gefallen, Mrs. Oliver Mellors zu sein statt Lady Chatterley?»
«Herrlich wäre das!»
Es war nichts zu machen mit Connie. Na ja, immerhin, wenn der Mensch vier oder fünf Jahre Offizier bei der Armee in Indien gewesen war, mußte er mehr oder weniger präsentabel sein. Anscheinend besaß er Charakter. Hilda fing an, sich ein wenig erweichen zu lassen.
«Aber du wirst ihn nach einer Weile satt haben», sagte sie, «und dich dann schämen, daß du mit ihm zu tun gehabt hast. Man kann sich nicht mit der Arbeiterklasse zusammentun.»
«Aber du bist doch sonst so eine Sozialistin! Du bist doch immer auf der Seite der Arbeiterklasse gewesen!»
«Ich mag in einer politischen Krise auf ihrer Seite sein, aber da ich es bin, weiß ich, wie unmöglich es ist, sein Leben mit dem ihren zu verbinden. Nicht aus Snobismus, sondern einfach, weil der ganze Lebensrhythmus ein anderer ist.»
Hilda hatte unter richtigen politischen Intellektuellen gelebt – so
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