Lady Chatterley (German Edition)
Zorn gab ihm eine seltsame Schönheit: eine Innerlichkeit und einen Schimmer, der sie erregte und ihre Glieder schmelzen ließ.
Doch er beachtete sie nicht.
Bis er sich setzte und seine Stiefel aufzuschnüren begann. Da sah er sie unter seinen Brauen hervor an, in denen noch immer der Zorn festsaß. «Willst du nicht raufgehen?» sagte er. «Da ist eine Kerze.»
Er ruckte rasch mit dem Kopf herum und wies auf die Kerze, die auf dem Tisch brannte. Gehorsam ergriff Connie sie, und er betrachtete die volle Rundung ihrer Hüften, während sie die ersten Stufen hinaufstieg.
Es wurde eine Nacht sinnlicher Leidenschaft, und Connie fürchtete sich ein wenig und war fast unwillig: doch wieder war sie durchbohrt von den durchbohrenden Sensationen der Sinnlichkeit, die anders waren, schärfer, schrecklicher als die der Zärtlichkeit – in diesem Augenblick jedoch begehrenswerter. Obgleich sie erschrocken war, ließ sie ihn gewähren, und die rücksichtslose, schamlose Sinnlichkeit erschütterte sie in ihren Grundfesten, legte sie bloß bis auf den Kern und machte eine andere Frau aus ihr. Es war nicht eigentlich Liebe. Es war nicht Wollust. Es war Sinnlichkeit, scharf und sengend wie Feuer, die Seele zu Asche verbrennend.
Alle Scham ausbrennend, die tiefste, älteste Scham, an den geheimsten Stellen. Es kostete sie Überwindung, ihn gewähren zu lassen, ihn mit ihr tun zu lassen, was er wollte. Sie mußte ein passives, willfähriges Geschöpf sein, eine Sklavin, eine physische Sklavin. Doch die Leidenschaft umzüngelte sie, verzehrte sie, und als die sinnliche Flamme ihre Eingeweide und ihre Brust durchsengte, war ihr, als müsse sie sterben – doch einen brennenden, einen herrlichen Tod.
Sie hatte oft darüber nachgedacht, was Abaelard meinte, als er sagte, daß in ihrem Jahr der Liebe er und Heloise alle Stadien und Verfeinerungen der Leidenschaft ausgekostet hätten. Das gleiche, tausend Jahre früher – zehntausend Jahre früher! Das gleiche auch auf den griechischen Vasen – überall! Die Verfeinerungen der Leidenschaft, die Ausschweifungen der Sinnlichkeit! Und notwendig, ewig notwendig, um falsche Scham auszubrennen und das schwerste Erz des Leibes rein auszuschmelzen. Mit dem Feuer reiner Sinnlichkeit.
In dieser kurzen Sommernacht lernte sie viel. Sie hatte immer gedacht, eine Frau müsse sterben dabei vor Scham. Statt dessen starb die Scham. Scham, die Furcht ist: die tiefe, organische Scham, die uralte physische Furcht, die in den Wurzeln unseres Körpers nistet und nur vom sinnlichen Feuer vertrieben werden kann – endlich war sie aufgespürt und in die Flucht geschlagen von der phallischen Jagd des Mannes, und sie gelangte in die Mitte des Dschungels ihrer selbst. Sie fühlte, daß sie jetzt auf den wahren Grund ihrer Natur gestoßen war, und wurde schamlos im Innersten. Sie war ihr sinnliches Selbst, nackt und ohne Scham. Sie empfand einen Triumph, einen fast lästerlichen Hochmut. So! So war es also! Das war das Leben! So war man selber also wirklich! Nichts war geblieben, das man verbergen oder um dessentwillen man sich schämen mußte. Sie teilte ihre äußerste Nacktheit mit einem Mann, einem anderen Wesen.
Und von welch dämonischer Rücksichtslosigkeit der Mann war! Wirklich dämonisch! Man mußte stark sein, um ihn zu ertragen. Aber es war wohl einiges nötig, bis die Mitte des physischen Dschungels bloßgelegt war – der letzte und verborgenste Schlupfwinkel organischer Scham. Der Phallus allein vermochte ihn bloßzulegen. Und wie er in sie gestoßen war!
Und wie sie ihn gehaßt hatte, in Angst! Doch wie sie ihn in Wahrheit gewollt hatte! Sie wußte es jetzt. Auf dem Grund ihrer Seele, ganz tief in ihrem Innern, hatte sie diese phallische Austreibung gebraucht, sie hatte sich im geheimen nach ihr gesehnt, und sie hatte geglaubt, daß sie ihr nie widerfahren würde. Nun plötzlich war sie da, und ein Mann teilte mit ihr ihre letzte, tiefste Nacktheit – sie war schamlos.
Was für Lügner Dichter und alle anderen waren! Sie machten einen glauben, man wollte Gefühl. Während doch das, was man vor allem anderen wollte, diese durchbohrende, verzehrende, entsetzliche Sinnlichkeit war. Einen Mann zu finden, der es zu tun wagte – ohne ein Gefühl von Scham oder Sünde und ohne Bedenken danach!
Wenn er sich hinterher geschämt oder ihr das Gefühl der Scham gegeben hätte – wie grauenvoll! Wie schade, daß die meisten Männer so hündisch waren, so verschämt, wie Clifford! Sogar wie
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