Lady Chatterley (German Edition)
anstößig, wirklich ausreichend, um einen Mord zu rechtfertigen. Oder die erbärmlichen dünnen Beinchen! Oder die hübschen strammen Dinger in seidenen Strümpfen ohne den geringsten Anflug von Leben! Grauenhaft, die Millionen bedeutungsloser Beine, die sinnlos umherstelzten!
Sie war nicht glücklich in London. Die Menschen schienen gespenstisch und hohl. Sie kannten kein lebendiges Glücklichsein, ganz gleich, wie frisch und gut sie aussahen. Alles war unfruchtbar. Und Connie hatte das blinde Verlangen einer Frau, glücklich zu sein, des Glückes versichert zu werden.
In Paris spürte sie wenigstens noch etwas Sinnlichkeit. Aber was für eine müde, erschöpfte, ausgelaugte Sinnlichkeit das war! Erschöpft aus Mangel an Zärtlichkeit! Oh, Paris war traurig. Eine der traurigsten Städte: müde seiner nur noch mechanischen Sinnlichkeit, müde der angespannten Jagd nach dem Geld, Geld, Geld, müde sogar des Verdrusses und der Eitelkeit, einfach müde auf den Tod, und immer noch nicht genügend amerikanisiert oder londonisiert, um die Müdigkeit unter einem mechanischen Getändel zu verbergen. Ach, diese mannstrotzenden Männer, diese Flaneure, diese Liebäugler, diese Konsumenten guter Diners! Wie ausgelaugt sie waren! Ausgelaugt, erschöpft aus Mangel an ein wenig Zärtlichkeit – gegebener und empfangener. Die tüchtigen, zuweilen charmanten Frauen wußten dieses oder jenes über das Wesen der Sinnlichkeit: darin waren sie ihren frischfröhlichen englischen Schwestern voraus. Aber von Zärtlichkeit wußten sie sogar noch weniger. Ausgetrocknet von der endlosen, ausdörrenden Anspannung des Willens, wurden auch sie immer erschöpfter. Die Welt der Menschen schöpfte sich eben immer mehr aus. Vielleicht würde sie grausam zerstörerisch werden. Eine Anarchie! Clifford und seine konservative Anarchie! Vielleicht war sie die längste Zeit konservativ gewesen. Vielleicht würde sie sich zu einer sehr radikalen Anarchie auswachsen.
Connie ertappte sich dabei, daß sie ängstlich zurückschreckte vor der Welt. Manchmal war sie eine kleine Weile glücklich auf den Boulevards oder im Bois oder im Jardin du Luxembourg. Aber Paris wimmelte schon von Amerikanern und Engländern – kuriosen Amerikanern in den merkwürdigsten Aufzügen und den üblichen trübsinnigen Engländern, die so hoffnungslos wirken im Ausland.
Sie war froh, weiterzureisen. Es war plötzlich warm geworden, und so fuhr Hilda durch die Schweiz und über den Brenner, dann durch die Dolomiten nach Venedig hinunter. Hilda fand es herrlich, alles zu arrangieren und den Wagen zu steuern und Herr des Unternehmens zu ein. Und Connie war es ganz zufrieden, sich still zu verhalten.
Und die Reise war wirklich sehr hübsch. Nur – Connie fragte sich unablässig: Warum mache ich mir im Grunde nichts daraus? Warum empfinde ich nie wirkliche Freude darüber? Wie gräßlich, daß ich mir aus der Landschaft so gar nichts mehr mache! Aber es ist so. Es ist wirklich entsetzlich: ich bin wie der heilige Bernhard, der über den Vierwaldstätter See segeln konnte, ohne je zu bemerken, daß es Berge und grünes Wasser um ihn gab. Ich mache mir einfach nichts mehr aus der Landschaft. Warum soll man sie anstarren? Warum? Ich weigere mich.
Nein, Frankreich, die Schweiz, Tirol oder Italien gaben ihr nichts. Sie wurde einfach durch dies alles hindurchgefahren. Und es war alles weniger wirklich als Wragby. Weniger wirklich als das scheußliche Wragby! Sie spürte, es würde ihr nichts ausmachen, wenn sie Frankreich oder die Schweiz oder Italien nie wiedersähe. Das alles würde schon bestehen bleiben. Wragby war wirklicher.
Und die Menschen – die Menschen waren sich alle gleich, mit nur sehr geringfügigen Unterschieden. Alle wollten sie Geld aus einem schlagen; oder wenn sie Reisende waren, trachteten sie nach Vergnügungen, koste es, was es wolle – als wollten sie Blut aus einem Stein pressen. Arme Berge! Arme Landschaft! Immer wieder mußten sie ausgepreßt und -gequetscht werden, um Sinnenkitzel, um Vergnügungen zu liefern. Was bezweckten die Menschen mit diesem geradezu verbissenen Drang, sich zu amüsieren?
Nein! sagte Connie zu sich selber. Da möchte ich lieber auf Wragby sein, wo ich umhergehen und für mich sein kann und nichts anzustarren und überhaupt nichts aufzuführen brauche. Dieses Theater, das die Touristen mit ihrer Vergnügungssucht aufführen, ist zu hoffnungslos erniedrigend: es ist so unsinnig.
Sie wollte zurück nach Wragby, sogar zurück zu
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