Lady Chatterley (German Edition)
gekommen, überrumpelnd. Sie war wie der Tod.
«Gott sei Dank, daß du für eine Weile von ihm weg sein wirst!» sagte Hilda und bog ab, um Crosshill zu umgehen.
SIEBZEHNTES KAPITEL
«Weißt du, Hilda», sagte Connie nach dem Mittagessen, als sie sich London näherten, «du hast weder richtige Zärtlichkeit noch richtige Sinnlichkeit gekannt. Und wenn du sie kennenlernst, mit demselben Mann, dann macht das einen großen Unterschied.»
«Um Himmels willen, gib doch nicht so an mit deinen Erfahrungen!» sagte Hilda. «Ich bin dem Mann noch nicht begegnet, der mit einer Frau zu einer Intimität fähig gewesen wäre, bei der er sich ihr ganz hingegeben hätte. Und das war es, was ich wollte. Ich bin nicht erpicht auf ihre selbstzufriedene Zärtlichkeit und ihre Sinnlichkeit. Ich habe keine Lust, das Spielzeug irgendeines Mannes zu sein und ebenso wenig sein chair à plaisir . Ich wollte eine vollkommene Vertrautheit, und die habe ich nicht bekommen. Das genügt mir.»
Connie bedachte das. Vollkommene Vertrautheit! Sie nahm an, das hieß, dem andern alles mitteilen, was einen selbst betraf, und umgekehrt, daß der andere einem alles mitteilte, was ihn betraf. Aber wie langweilig war das. Und all diese lästige Selbstbezogenheit zwischen Mann und Frau! Eine Krankheit!
«Ich glaube, du bist die ganze Zeit zu sehr auf dich selbst bezogen gewesen – jedem gegenüber», sagte sie zu ihrer Schwester.
«Ich hoffe zumindest, ich habe keine Sklavennatur», erwiderte Hilda.
«Aber vielleicht hast du eine! Vielleicht bist du Sklavin deiner eigenen Vorstellung von dir.»
Nach dieser unerhörten Unverschämtheit des Grünschnabels Connie fuhr Hilda eine Weile lang schweigend weiter.
«Wenigstens bin ich keine Sklavin der Vorstellung, die jemand anders von mir hat, und dieser jemand ist nicht der Bedienstete meines Mannes», gab sie schließlich ruppig und wütend zurück.
«Siehst du, so ist es nicht», sagte Connie ruhig.
Sie hatte sich immer von ihrer älteren Schwester leiten lassen. Jetzt, wenn sie auch im stillen weinte, war sie frei von der Bevormundung anderer Frauen . Ah! Das allein war schon eine Erlösung – es war, als würde einem ein neues Leben geschenkt: frei zu sein von der merkwürdigen Bevormundung und Besitzergreifung anderer Frauen . Wie schrecklich sie waren – die Frauen!
Sie freute sich auf das Zusammensein mit ihrem Vater, dessen Lieblingstochter sie immer gewesen war. Sie und Hilda blieben in einem kleinen Hotel in der Nähe der Pall Mall, und Sir Malcolm übernachtete in seinem Club. Aber am Abend führte er seine Töchter aus, und es machte ihnen Spaß, mit ihm auszugehen.
Er sah noch immer gut und gesund aus, wenn er auch ein wenig ängstlich war vor der neuen Welt, die rings um ihn emporgewachsen war. Er hatte sich zum zweitenmal verheiratet in Schottland, mit einer Frau, die jünger war als er und reicher. Aber er verbrachte die Ferien, wenn nur irgend möglich, getrennt von ihr, hielt es genauso wie mit seiner ersten Frau.
Connie saß neben ihm in der Oper. Er war ein wenig beleibt und hatte stämmige Schenkel, aber sie waren noch immer kräftig und fest – die Schenkel eines gesunden Mannes, der sein Vergnügen am Leben gehabt hat. Sein gutmütiger Egoismus, seine verbissene Unabhängigkeit, seine unbußfertige Sinnlichkeit – es schien Connie, als könnte sie dies alles seinen festen, strammen Schenkeln ansehen. Einfach ein Mann. Der jetzt ein alter Mann wurde, und das war traurig. Denn in seinen kräftigen, dicken männlichen Beinen war nichts von der lebhaften Empfindungsfähigkeit und der Macht der Zärtlichkeit, die das Wesen der Jugend ausmachen, war nichts von dem, was niemals stirbt, wenn es einmal da ist.
Connie bekam Augen für den Charakter von Beinen. Sie wurden ihr wichtiger als Gesichter, die nicht mehr viel aussagen können. Wie wenige Menschen hatten lebendige, kraftvolle Beine! Sie sah sich die Männer in den Parkettreihen an. Plumpe Puddingschenkel in schwarzem Puddingtuch oder dünne Holzstöcke in schwarzem Beerdigungstuch oder wohlgeformte junge Beine ohne die geringste Bedeutung, ohne Sinnlichkeit, ohne Zärtlichkeit, ohne Empfindungsfähigkeit – einfach bebeinte Gewöhnlichkeit, die da umherstakt. Nicht einmal so viel Sinnlichkeit, wie ihr Vater sie hatte! Eingeschüchtert waren sie alle, so eingeschüchtert, daß sie kaum noch existierten.
Die Frauen dagegen waren nicht eingeschüchtert. Diese scheußlichen Mühlschlegel der meisten Frauen! Wirklich
Weitere Kostenlose Bücher