Lady Chatterley (German Edition)
voll. Außer Sir Malcolm und seinen beiden Töchtern waren noch sieben andere Gäste da: ein schottisches Ehepaar, auch mit zwei Töchtern; eine junge italienische Contessa, eine Witwe; ein junger georgischer Prinz und ein nicht mehr ganz so junger englischer Geistlicher, der Lungenentzündung gehabt hatte und aus Rücksicht auf seine Gesundheit den Kaplan für Sir Alexander machte. Der Prinz hatte keinen Heller, sah gut aus, würde einen ausgezeichneten Chauffeur abgeben, ließ es nicht an der nötigen Unverfrorenheit fehlen, und damit hatte es sich. Die Contessa war eine stille kleine Katze, die irgendein Spielchen trieb. Der Geistliche war ein ungehobelter, simpler Bursche aus einem Pfarrhof in Buckinghamshire: glücklicherweise hatte er seine Frau und seine beiden Kinder zu Hause gelassen. Und die Guthries, die vierköpfige Familie, waren gute, solide Edinburgher Mittelklasse, hatten an allem soliden Spaß, getrauten sich alles, riskierten aber nichts.
Den Prinzen schlossen Connie und Hilda auf der Stelle aus. Die Guthries waren mehr oder minder von ihrer eigenen Art, wohlhabend, aber langweilig, und die Mädchen suchten Ehemänner. Der Kaplan war nicht so übel, aber zu unterwürfig. Sir Alexander war nach seinem leichten Schlaganfall schrecklich schwerfällig in seiner Jovialität, aber noch immer erregte ihn die Anwesenheit so vieler hübscher junger Frauen. Lady Cooper war eine stille, gehässige Person, für die jetzt magere Zeiten ausgebrochen waren, das arme Ding, und die jede andere Frau mit einer kalten Wachsamkeit beobachtete, die ihr zur zweiten Natur geworden war, und eisige, böse kleine Spitzen verteilte, die zeigten, was für eine äußerst geringe Meinung sie von aller menschlichen Kreatur hatte. Außerdem war sie den Dienstboten gegenüber von einer giftigen Anmaßung, fand Connie, aber auf eine ganz heimliche Weise. Und geschickt verhielt sie sich so, daß Sir Alexander in der Vorstellung lebte, er sei der Herr und Gebieter der ganzen Gesellschaft, mit seiner stattlichen, herzlich sein wollenden Dickbäuchigkeit und seinen todlangweiligen Witzen – seiner Humorosis, wie Hilda das nannte.
Sir Malcolm malte. Ja, er verfertigte noch immer gern ab und an ein venezianisches Lagunenbild, als Kontrast zu seinen schottischen Landschaften. So wurde er also des Morgens zusammen mit einer ungeheuren Leinwand zu seinem Malsitz gerudert. Ein wenig später wurde Lady Cooper mit Skizzenblock und Farben ins Stadtzentrum gerudert. Sie war eine eingeschworene Aquarellmalerin, und das Haus hing voll von rosenfarbenen Palästen, dunklen Kanälen, schwanken Brücken, mittelalterlichen Fassaden und so fort. Noch ein wenig später brachen die Guthries, der Prinz, die Contessa, Sir Alexander und manchmal auch Mr. Lind, der Kaplan, zum Lido auf, um dort zu baden; und sie kamen dann erst um halb zwei, zu einem verspäteten Lunch, zurück.
Die Hausgemeinschaft war als Hausgemeinschaft ausgesprochen langweilig. Aber das störte die Schwestern nicht. Sie waren die ganze Zeit unterwegs. Der Vater nahm sie in die Ausstellung mit – Wände und aber Wände voll trübseliger Pinseleien. Er nahm sie mit in die Villa Lucchese zu seinen Freunden, er saß mit ihnen an warmen Abenden auf der Piazza an einem reservierten Tisch bei Florian, er ging mit ihnen ins Theater, in die Goldoni-Stücke. Es gab illuminierte Wasser-Parties, es gab Bälle. Dies war der Ferienort aller Ferienorte. Der Lido mit seinen Quadratkilometern voll sonnengeröteter oder trikotbekleideter Leiber glich einem Sandstreifen voll wimmelnder Seehunde, die zahllos emporgetaucht waren, um zu hochzeiten. Zu viele Menschen auf der Piazza, zu viele menschliche Gliedmaßen und Rümpfe am Lido, zu viele Gondeln, zu viele Vaporettos, zu viele Dampfer, zu viele Tauben, zu viele Eiskrems, zu viele Cocktails, zu viele trinkgeldheischende Diener, zu viele durcheinanderschnatternde Sprachen, zu viel, zu viel Sonne, zu viel Geruch nach Venedig, zu viele Erdbeerladungen, zu viele Seidenschals, zu viele riesenhafte, rohfleischige Wassermelonen-Scheiben auf den Ständen: zuviel Vergnügen, viel zuviel Vergnügen!
Connie und Hilda gingen umher in ihren sommerlichen Kleidern. Es gab Dutzende von Leuten, die sie kannten, Dutzende von Leuten, denen sie bekannt waren. Michaelis tauchte auf wie eine falsche Münze. «Hallo! Wo wohnt ihr? Kommt mit, eßt ein Eis mit mir oder irgendwas! Kommt mit irgendwohin in meiner Gondel!» Sogar Michaelis fast sonnengebräunt: wiewohl
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