Lady Chatterley (German Edition)
antisozial; sie hatten sich mehr oder weniger zum Vorsatz genommen, die Menschheit zu retten oder doch wenigstens zu unterweisen.
Am Sonntagabend gab es ein grandioses Gespräch, als die Unterhaltung wieder aufs Thema Liebe zutrieb.
«Gesegnet sei das Band, das unsere Herzen bindet in Eintracht … oder so ähnlich», sagte Tommy Dukes. «Ich möchte gern wissen, was für ein Band das ist … Das Band, das uns jetzt verbindet, ist die geistige Reibung. Und davon abgesehen gibt es verdammt wenig Bande zwischen uns. Wir fallen übereinander her und werfen uns gegenseitig Gehässigkeiten an den Kopf wie alle verdammten Intellektuellen in der Welt. Wie verdammt jeder; denn sie tun’s alle. Wir sind alle gegeneinander, verbergen aber die Gehässigkeit, die wir empfinden, hinter zuckersüßer Falschheit. Es ist merkwürdig, daß das geistige Leben so gedeiht so, mit den Wurzeln in Gehässigkeit, in unbeschreiblicher, bodenloser Gehässigkeit. Schon immer war es so. Seht euch Sokrates in Platons Schriften an und den Kreis um ihn! Überall die schiere Gehässigkeit, die schiere Freude, einen anderen in Stücke zu reißen … Protagoras oder wen immer es da gab! Und Alkibiades und all die anderen kleinen Schülerhunde, die sich an der Hetze beteiligten! Ich muß sagen, das bringt einem Buddha näher, der geruhsam unter einem Bo-Baum saß, oder Jesus, der seinen Jüngern kleine Sonntagsgeschichten erzählte – friedlich und ohne irgendwelches geistiges Feuerwerk. Nein, irgend etwas am geistigen Leben stimmt nicht, schon von der Wurzel her nicht. Es wurzelt in Bosheit und Neid, Neid und Bosheit. An seinen Früchten sollt ihr den Baum erkennen!»
«Ich bin nicht der Meinung, daß wir so gehässig sind», protestierte Clifford.
«Mein lieber Clifford, denk doch an die Art und Weise, wie wir uns gegenseitig durchhecheln, jeden von uns. Ich selber bin sogar schlimmer als die anderen. Weil ich die spontane Bosheit der ausgetüftelten Süßholzraspelei bei weitem vorziehe. Das ist nämlich Gift. Wenn ich loslegte, was für ein feiner Kerl Clifford ist, und so weiter, und so weiter, dann wäre der arme Clifford zu bedauern. Sagt um Gottes willen alle gehässige Sachen über mich, dann weiß ich wenigstens, daß ich euch etwas bedeute. Raspelt kein Süßholz, oder es ist aus mit mir!»
«Oh, aber ich glaube ernsthaft, daß wir uns mögen», sagte Hammond.
«Ich sage dir, wir müssen … Wir reden alle gehässiges Zeug hinterm Rücken der anderen! Ich bin der Schlimmste!»
«Und ich glaube, du verwechselst das geistige Leben mit kritischem Temperament. Ich stimme dir bei: Sokrates verschaffte dem kritischen Temperament einen großen Start, aber er tat noch mehr», sagte Charlie May in ziemlich schulmeisterlichem Ton. Die Kumpane waren so merkwürdig pompös unter ihrer vorgetäuschten Bescheidenheit. Alles war so ex cathedra und gab dabei vor, so bescheiden zu sein.
Dukes hatte keine Lust, sich auf Sokrates festlegen zu lassen.
«Ganz richtig, Kritik und Wissen sind nicht dasselbe», warf Hammond ein.
«Natürlich nicht», pflichtete Berry bei, ein braunhaariger, schüchterner junger Mann, der gekommen war, um Dukes zu sprechen, und der über Nacht dablieb.
Alle sahen ihn an, als hätte der Esel gesprochen.
«Ich habe nicht vom Wissen gesprochen, ich habe vom geistigen Leben gesprochen!» lachte Dukes. «Wahres Wissen kommt aus dem gesamten Gefüge des Bewußtseins; aus deinem Bauch und deinem Penis ebenso wie aus deinem Gehirn und deinem Geist. Der Geist kann nur analysieren und rationalisieren. Laß den Geist und die Vernunft die Oberhand über all das andere gewinnen, und alles, was sie tun können, ist, kritisieren und alles totreden. Ich sage alles , was sie tun können. Das ist ungeheuer wichtig. Mein Gott, die Welt hat es eben verdammt nötig, dies Kritisieren. Darum laßt uns das geistige Leben leben, uns an unserer Bosheit ergötzen und mit dem Affentheater aufhören. Aber wohlgemerkt, die Sache ist so: während man sein Leben lebt , bildet man gleichsam eine organische Ganzheit mit allem Leben. Doch sobald man mit dem geistigen Leben anfängt, reißt man den Apfel ab. Man trennt die Verbindung zwischen Apfel und Baum: die organische Verbindung. Und wenn man nichts anderes im Leben hat als nur das geistige Leben, dann ist man selber ein abgerissener Apfel … ein vom Baum gefallener Apfel. Und dann ist es eine logische Folge, boshaft zu sein, ebenso, wie es für einen gepflückten Apfel eine natürliche Folge
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