Lady Chatterley (German Edition)
Connie dann.
«Für eine kleine Weile! Es ist alles, was wir tun können. Wir können nur unser Teil tun. Ich glaube, jeder in meiner Familie hat das Seine hier getan, solange der Besitz in unserer Hand ist. Man mag gegen die Konvention zu Felde ziehen, aber die Tradition muß man aufrechthalten.» Wieder trat Schweigen ein.
«Was für eine Tradition?» fragte Connie.
«Die Tradition Englands! All dessen da!»
«Ja», sagte sie langsam.
«Deshalb hilft es, einen Sohn zu haben; man ist nur ein Glied in einer Kette», fuhr er fort.
Connie war nicht sonderlich erpicht auf Ketten, doch sie sagte nichts. Sie dachte über die sonderbare Unpersönlichkeit seines Verlangens nach, einen Sohn zu haben.
«Es tut mir leid, daß wir keinen Sohn haben können», sagte sie. Er sah sie fest an mit seinen großen blaßblauen Augen.
«Es wäre fast wünschenswert, wenn du ein Kind von einem anderen Mann hättest», sagte er. «Wenn wir es auf Wragby großzögen, würde es uns gehören und dem Besitz. Ich halte nicht übermäßig viel von Vaterschaft. Wenn wir das Kind bei uns aufzögen, würde es unser eigenes sein, und es würde unser Werk fortsetzen. Meinst du nicht, daß es sich lohnt, darüber nachzudenken?»
Nach einer langen Weile sah Connie ihn an. Das Kind, ihr Kind, war nichts weiter als ein «es» für ihn. Es … es … es!
«Aber was ist mit dem anderen Mann?» fragte sie.
«Ist das so wichtig? Berühren uns diese Dinge wirklich so tief? Du hattest den Geliebten da in Deutschland – was bedeutet das jetzt? Nahezu nichts. Mir scheint, nicht diese kleinen Handlungen, die man vornimmt, nicht diese kleinen Verbindungen, die man im Leben eingeht, sind es, auf die es ankommt. Sie verstreichen, verlieren sich – wohin? Wo bleiben sie? Wo ist der Schnee vom letzten Jahr? … Das, was das Leben hindurch andauert – darauf kommt es an; auf mein Leben kommt es mir an, in seiner langen Fortdauer und in seinem Verlauf. Aber was bedeuten die zufälligen, gelegentlichen Bindungen? Und die zufälligen sexuellen Verbindungen im besonderen? Wenn die Menschen sie nicht in lächerlicher Weise übertreiben, gehen sie vorüber wie die Balz der Vögel. Und so sollte es auch sein. Was für einen Sinn hat es denn? Nur die lebenslange Gemeinschaft hat einen Sinn. Das Zusammenleben von einem Tag zum andern, darauf kommt es an, nicht auf das gelegentliche Zusammenschlafen. Du und ich, wir sind verheiratet, ganz gleich, was uns geschieht. Wir sind einander zur Gewohnheit geworden. Und Gewohnheit, glaube ich, ist wesentlicher als irgendeine gelegentliche Erregung. Das Langwährende, Allmähliche, Fortdauernde … davon leben wir … nicht von irgendwelchen gelegentlichen Aufwallungen. Ganz allmählich, im Miteinanderleben, geraten zwei Menschen in eine Art Gleichklang, in eine untrennbare Einheit. Das ist das Geheimnis einer Ehe, nicht der Sexus; zumindest nicht sein Vollzug. Du und ich, wir sind miteinander in eine Ehe verwoben. Wenn wir uns daran halten, sollten wir imstande sein, das Geschlechtliche zu arrangieren – so wie wir einen Besuch beim Zahnarzt arrangieren; da das Schicksal uns in dieser Beziehung nun mal matt gesetzt hat.»
Connie saß da und hörte staunend und fast geängstigt zu. Sie wußte nicht, ob er recht hatte oder nicht. Michaelis – sie liebte ihn; wenigstens redete sie sich es ein. Aber diese Liebe war doch nur ein Ausflug aus ihrer Ehe mit Clifford, aus der langen, trägen Gewohnheit des Vertrautseins, das aus Jahren des Leidens und Geduldens gewachsen war. Vielleicht braucht der Mensch solche Ausflüge, und man soll sie ihm nicht versagen. Doch das Wesen eines Ausflugs ist, daß man wieder heimkommt.
«Und wäre es dir gleich, von welchem Mann ich das Kind bekäme?» fragte sie.
«Nun, Connie, ich würde mich auf deinen natürlichen Instinkt für Anstand und Geschmack verlassen. Du würdest nicht dulden, daß ein indiskutabler Bursche dich anrührte.»
Sie dachte an Michaelis. Er entsprach durch und durch Cliffords Vorstellung von einem indiskutablen Burschen.
«Aber Männer und Frauen haben vielleicht verschiedene Ansichten über einen indiskutablen Burschen», meinte sie.
«Nein», erwiderte er. «Du hast mich gemocht. Ich glaube nicht, daß du jemals einen Mann mögen würdest, der mir durchweg unsympathisch wäre. Dein Rhythmus würde das nicht zulassen.»
Sie schwieg. Auf diese Logik gab es nichts zu sagen, weil sie so völlig falsch war.
«Und würdest du erwarten, daß ich dir etwas sage?»
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