Lady Chatterley (German Edition)
fragte sie und streifte ihn mit einem fast hinterhältigen Blick.
«Durchaus nicht. Es ist besser, ich weiß nichts … Aber du stimmst mir zu, nicht wahr, daß das flüchtige Geschlechtliche nichts ist, verglichen mit dem langen, gemeinsam gelebten Leben? Meinst du nicht, daß man das Geschlechtliche den Notwendigkeiten eines langen Lebens einfach unterordnen kann? Es einfach tun, da wir nun mal dazu getrieben werden? Überhaupt, sind diese vorübergehenden Erregungen denn so wichtig? Liegt nicht das ganze Problem des Lebens darin, allmählich, im Laufe der Jahre, eine runde Persönlichkeit aufzubauen? Ein rundes Leben zu führen? In einem anderen Leben ist kein Sinn. Wenn ein Mangel an Sexuellem dich zersetzen sollte, dann geh hin und hab eine Liebesaffäre. Wenn das Fehlen eines Kindes dich zersetzt, dann hab ein Kind, wenn es irgend geht. Aber tu dies alles nur so, daß du ein rundes Leben führst – ein Leben, das ein langwährendes, harmonisches Ganzes bildet. Und du und ich, wir können das gemeinsam so haben, glaubst du nicht? … Wenn wir uns in die Notwendigkeiten fügen und gleichzeitig dies Sicheinfügen mit unserem stetig gelebten Leben verweben. Meinst du nicht auch?»
Connie war ziemlich überwältigt von seinen Worten. Sie wußte, daß er theoretisch recht hatte. Doch wenn sie wirklich an ihr stetig gelebtes Leben mit ihm dachte, dann zögerte sie … War es ihr denn tatsächlich bestimmt, sich immer weiter in sein Leben zu verweben, ihr eigenes ganzes Leben lang? Nichts sonst?
War es nur das? Sie hatte sich damit zu begnügen, ein stetiges Leben mit ihm zu weben, ein einheitliches Gebilde, das vielleicht hin und wieder mit der brokatenen Blume eines Abenteuers durchwirkt war. Doch wie sollte sie wissen, was sie im nächsten Jahr empfinden würde? Wie konnte sie das jemals wissen? Wie konnte man ja sagen? Für Jahre und Jahre im voraus? Dies kleine Ja, in einem Hauch verweht! Warum war man durch dies Schmetterlingswort fest verkettet? Natürlich wäre es doch, wenn es verflattern würde, vergehen, und von anderen Jas und Neins abgelöst würde! Wie Schmetterlingsgaukeln.
«Ich glaube, du hast recht, Clifford. Und soweit ich sehen kann, bin ich derselben Meinung. Nur – das Leben könnte vielleicht allem ein ganz neues Gesicht geben.»
«Aber bis das Leben allem ein neues Gesicht gibt, stimmst du mir zu?»
«O ja, ich glaube, das tue ich, bestimmt.»
Sie beobachtete einen braunen Spaniel, der aus einem Seitenpfad hervorgerannt war und unter leisem, flaumigem Gebell mit hochgereckter Schnauze zu ihnen herübersah. Ein Mann mit einem Gewehr folgte dem Hund, mit raschen, federnden, weit ausholenden Schritten; er trat auf ihren Weg, als wolle er sie angreifen; doch dann blieb er stehen, grüßte und wandte sich hügelabwärts. Es war nur der neue Waldhüter, aber er hatte Connie erschreckt – sein Erscheinen wirkte wie eine jähe Drohung. So hatte sie ihn gesehen – wie den plötzlichen Anprall einer Drohung aus dem Nichts.
Er war ein Mann in dunkelgrünen Manchesterhosen und Gamaschen … vom alten Schlag, mit rotem Gesicht und rotem Schnurrbart und kühlen Augen. Er schritt rasch den Hügel hinab.
«Mellors!» rief Clifford.
Der Mann drehte leicht den Kopf und salutierte mit einer raschen, knappen Bewegung – ein Soldat!
«Wollen Sie den Stuhl umdrehen und ihn anschieben? Dann ist es leichter für mich», sagte Clifford.
Der Mann hängte sich sofort das Gewehr über die Schulter und kam mit den gleichen, sonderbaren, raschen, doch federnden Bewegungen heran – als hielte er sich im Unsichtbaren. Er war mäßig groß und schmal und sprach nicht. Er sah Connie nicht an, nur den Stuhl.
«Connie, dies ist der neue Waldhüter, Mellors. Sie haben Lady Chatterley bisher noch nicht kennengelernt, Mellors?»
«Nein, Sir», kam die gleichmütige, ausdruckslose Antwort.
Der Mann zog den Hut, und sein dichtes, fast blondes Haar kam zum Vorschein. Er sah Connie in die Augen, mit festem, furchtlosem, unpersönlichem Blick, als wolle er sehen, wer sie war. Sie wurde unsicher. Scheu neigte sie den Kopf vor ihm, und er nahm den Hut in die linke Hand und machte eine leichte Verbeugung zu ihr hin, wie ein Mann von Welt; doch er sagte kein Wort. Einen Augenblick lang verharrte er so, den Hut in der Hand.
«Aber Sie sind schon einige Zeit hier, nicht wahr?» fragte sie.
«Acht Monate, gnädige Frau … Euer Gnaden!» verbesserte er sich ruhig.
«Und gefällt es Ihnen hier?»
Connie sah in seine
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