Lady Chatterley (German Edition)
und standzuhalten; was auch ganz gut und schön war, wenn man der gleichen Klasse und Rasse angehörte. Dann konnte man sich kühl halten und sehr achtbar sein und seinen Platz behaupten und die Befriedigung auskosten, daß man ihn behauptete. Aber wenn man zu einer anderen Kategorie, zu einer anderen Rasse gehörte, ging das nicht; es machte keine Freude, lediglich seinen Standort zu wahren und zu fühlen, daß man der herrschenden Schicht angehörte. Was für ein Sinn lag darin, wenn selbst die feinsten Aristokraten im Grunde nichts positiv Eigenes zu wahren hatten und ihre Herrschaft nur eine Farce war und durchaus keine Herrschaft? Was für ein Sinn lag darin? Kalter Unsinn war das alles.
Ein rebellisches Gefühl schwelte in Connie. Was für einen Zweck hatte das alles? Was für einen Zweck hatte es, daß sie sich opferte, daß sie ihr Leben Clifford hingab? Wem diente sie letztlich damit? Einem kalten Geist der Eitelkeit, der keiner warmen menschlichen Beziehungen fähig und so korrupt war wie nur irgendein beliebiger niedriggeborener Jude – denn Clifford gierte ja danach, sich mit der Hundsgöttin zu prostituieren, dem Erfolg. Sogar seine kühle, kontaktlose Selbstsicherheit, der herrschenden Klasse anzugehören, verhinderte nicht, daß ihm die Zunge heraushing, wenn er hinter der Hundsgöttin herkeuchte. Michaelis hatte in dieser Hinsicht jedenfalls mehr Würde und weit, weit mehr Erfolg. Wirklich, wenn man sich Clifford näher betrachtete, war er ein Hanswurst, und ein Hanswurst zu sein ist erniedrigender, als ein Emporkömmling zu sein.
Von den beiden Männern war Michaelis im Grunde weit mehr auf sie angewiesen als Clifford. Er brauchte sie mehr. Um verkrüppelte Beine kann sich jede gute Krankenschwester kümmern. Und wenn es um heroische Leistungen ging, so war Michaelis eine heroische Ratte, Clifford aber eigentlich ein Pudel, der sich produzierte.
Manchmal gab es Logiergäste im Haus, unter ihnen Cliffords Tante Eva, Lady Bennerley. Sie war eine hagere Frau von sechzig Jahren mit einer roten Nase, eine Witwe, und noch immer hatte sie etwas von einer grande dame . Sie entstammte einer der besten Familien und hatte die Façon, das durchaus ins Treffen zu führen. Connie hatte sie gern, sie war durch und durch unkompliziert und offen, soweit es in ihrer Absicht lag, offen zu sein, und besaß eine oberflächliche Güte. Im Herzen war sie eine wahre Meisterin darin, auf ihre Vorrechte zu pochen und andere Menschen nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen. Sie war keineswegs ein Snob, dazu war sie sich ihrer selbst viel zu sicher. Sie beherrschte nur den gesellschaftlichen Sport, sich kühl zu behaupten und die anderen zu veranlassen, daß sie sich vor ihr beugten.
Sie war nett zu Connie und versuchte, mit der Sonde ihrer scharfen Beobachtungsgabe in ihre Frauenseele einzudringen.
«Ich finde dich ganz großartig», sagte sie zu Connie. «Du hast Wunder vollbracht an Clifford. Ich habe vorher nie gemerkt, daß ein Genie in ihm schlummert, und nun ist er das Gespräch des Tages.» Tante Eva war von selbstgefälligem Stolz erfüllt über Cliffords Erfolg. Wieder eine Feder mehr an unserem Barett. Sie hatte keinen blassen Schimmer von seinen Büchern, aber warum sollte sie auch?
«Ach, ich glaube nicht, daß ich etwas dazu getan habe», erwiderte Connie.
«Aber du mußt! Jemand anders kann’s nicht gewesen sein. Und mir scheint, du selbst hast nicht genügend davon.»
«Wieso?»
«Denk doch nur daran, wie du hier eingesperrt bist. Ich habe Clifford gesagt: ‹Wenn das Kind sich eines Tages dagegen auflehnt, hast du das dir selber zuzuschreiben!›»
«Aber Clifford schlägt mir niemals irgend etwas ab», sagte Connie.
«Hör zu, mein liebes Kind –» und Lady Bennerley legte ihre magere Hand auf Connies Arm – «eine Frau muß ihr Leben leben oder leben, um zu bereuen, daß sie es nicht gelebt hat. Glaub mir!» Und sie nahm noch einen Schluck Brandy, was vielleicht ihre Form von Reue war.
«Aber ich lebe doch mein Leben, oder meinst du nicht?»
«Nicht so, wie ich mir’s denke. Clifford sollte dich nach London schicken und dir dort alle Freiheit lassen. Seine Freunde sind ganz gut für ihn , aber was sind sie für dich ? Wenn ich du wäre, würde ich denken, daß alles nicht gut genug für mich ist. Du läßt deine Jugend vorüberziehen und wirst dein Alter und deine mittleren Jahre dransetzen, das zu bereuen.»
Ihre Gnaden fiel in kontemplatives Schweigen, vom Brandy beschwichtigt.
Aber Connie
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