Lady Chatterley (German Edition)
wenig die Knochen hervortraten, und das Gefühl der Einsamkeit hier, das Gefühl, ein Geschöpf in reiner, tiefer Einsamkeit vor sich zu haben, überwältigte sie. Vollendete weiße, einsame Nacktheit eines Wesens, das allein ist, auch innerlich. Und darüber hinaus die Schönheit eines reinen Geschöpfs. Nicht der Stoff der Schönheit, nicht einmal der Körper der Schönheit, sondern ein Strahlen, die warme weiße Flamme eines Einzellebens, das sich in Konturen offenbarte, die man berühren konnte: ein Leib! Connie hatte den Schock dieser Vision tief im Innern empfangen, und sie wußte es – es war in ihr. Doch mit dem Verstand neigte sie dazu, alles in Lächerliche zu ziehen. Ein Mann, der sich in einem Hinterhof wusch! Bestimmt mit einer schlechtriechenden gelben Seife! – Sie war ziemlich verärgert: warum hatte ihr das widerfahren müssen – auf diese vulgären Intimitäten zu stoßen!
So entfernte sie sich von sich selbst; nach einer Weile setzte sie sich auf einen Baumstumpf. Sie war zu verwirrt zum Denken. Aber inmitten des Gestrüpps ihrer Verwirrung war sie entschlossen, dem Mann ihren Auftrag zu überbringen. Sie würde sich nicht ins Bockshorn jagen lassen. Sie mußte ihm Zeit lassen, sich anzuziehen, aber verhindern, daß er inzwischen fortginge. Sicherlich hatte er vor, irgendwohin zu gehen.
So schlenderte sie langsam zurück und lauschte. Als sie näher kam, sah sie, daß sich am Haus nichts verändert hatte. Ein Hund bellte, und sie klopfte an die Tür; ihr Herz schlug hart.
Sie hörte den Mann leichtfüßig die Treppe herunterkommen. Er öffnete schnell die Tür und erschreckte sie. Er sah selbst ein wenig verlegen aus, aber sofort zog ein Lächeln über sein Gesicht.
«Lady Chatterley!» sagte er. «Möchten Sie hereinkommen?»
Er war so unbefangen und gut in seiner Art, und sie trat über die Schwelle in den recht düsteren kleinen Raum.
«Ich komme nur mit einem Auftrag von Sir Clifford», sagte sie in ihrer weichen, ziemlich atemlosen Stimme.
Der Mann sah sie mit seinen blauen, allessehenden Augen an, unter denen sie ihr Gesicht ein wenig zur Seite wandte. Er fand sie anmutig, fast schön in ihrer Scheu, und wurde sofort Herr der Situation.
«Wollen Sie sich nicht setzen?» fragte er, schon annehmend, daß sie es nicht tun würde. Die Tür stand offen.
«Nein, danke! Sir Clifford möchte nur, daß Sie …» und sie entledigte sich ihres Auftrags und sah ihm wieder, ohne es zu wissen, in die Augen. Sie waren jetzt warm und voll Güte, besonders für eine Frau – wunderbar warm und gütig und unbefangen.
«Es ist gut, Euer Gnaden. Werde mich gleich drum kümmern.»
Als er den Befehl entgegennahm, veränderte sich sein ganzes Wesen, überzog sich gleichsam mit einer Schicht aus Härte und Reserviertheit. Connie zögerte, eigentlich hätte sie gehen müssen. Statt dessen sah sie sich in dem ordentlichen, sauberen, düsteren kleinen Wohnzimmer bestürzt um.
«Leben Sie hier ganz allein?» fragte sie.
«Ganz allein, Euer Gnaden.»
«Aber Ihre Mutter …?»
«Sie lebt in ihrem eigenen Haus im Dorf.»
«Mit dem Kind?» fragte Connie.
«Mit dem Kind.»
Und auf sein klarzügiges, müdes Gesicht trat ein undefinierbarer, spöttischer Ausdruck. Es war ein Gesicht, das sich fortwährend verwirrend änderte.
«Nein», sagte er, weil er sah, daß Connie nicht begriff, «meine Mutter kommt sonnabends her und räumt auf für mich; alles übrige mache ich selber.»
Wieder sah Connie ihn an. Seine Augen lächelten, ein wenig spöttisch, aber warm und blau und voll Güte. Sie war verwundert über ihn. Er trug eine Hose und ein Flanellhemd und eine graue Krawatte, sein Haar war weich und feucht, sein Gesicht blaß und erschöpft. Wenn die Augen aufhörten zu lachen, sahen sie aus, als hätte er viel gelitten, doch ohne daß sie dabei ihre Wärme verloren. Aber ein Mantel von Abgeschlossenheit legte sich um ihn – sie war nicht wirklich da für ihn.
Sie wollte so vieles sagen, aber sie sagte nichts. Sie sah nur wieder zu ihm auf und fragte:
«Hoffentlich habe ich Sie nicht gestört?»
Das kaum merkliche spöttische Lächeln verengte seine Augen.
«Hab mir nur das Haar gekämmt, wenn’s recht ist. Tut mir leid, daß ich keine Jacke anhabe, aber ich hatte keine Ahnung, wer klopfte. Niemand klopft hier sonst, und das Unerwartete wirkt unheilvoll.»
Er ging vor ihr den Gartenweg hinunter, um ihr die Pforte aufzuhalten. So, mit dem Hemd bekleidet, ohne die plumpe Samtjoppe, sah sie wieder,
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