Lady Chatterley (German Edition)
sie in ihr Zimmer. Als sie die Tür zumachte, tönte der Gong, trotzdem wollte sie ein Bad nehmen – sie mußte ein Bad nehmen. «Ich werde nicht mehr zu spät kommen», sagte sie zu sich, «es ist zu lästig.»
Am nächsten Tag ging sie nicht in den Wald. Statt dessen fuhr sie mit Clifford nach Uthwaite. Er konnte jetzt gelegentlich im Auto ausfahren und hatte einen kräftigen jungen Mann als Chauffeur eingestellt, der ihm aus dem Wagen helfen konnte, wenn es nötig war. Vor allem hatte er vor, seinen Patenonkel Leslie Winter zu besuchen, der auf Shipley Hall wohnte, nicht weit von Uthwaite. Winter war ein älterer Herr jetzt, reich, einer von den reichen Kohlengrubenbesitzern, die ihre Glanzzeit in König Eduards Tagen gehabt hatten. König Eduard war mehr als einmal zur Jagd auf Shipley gewesen. Es war ein hübscher alter Stuckbau und sehr elegant eingerichtet – Winter war Junggeselle und tat sich auf seinen Lebensstil etwas zugute. Doch der Besitz war umringt von Gruben. Leslie Winter war Clifford zwar gewogen, hegte jedoch keinen großen Respekt für ihn wegen der Fotografien in den Illustrierten und wegen der Schriftstellerei. Der alte Herr war noch ein Lebemann aus der König-Eduard-Schule, die zwischen dem «Leben» und den Schreiberlingen einen Unterschied machte. Connie gegenüber war der alte Squire immer außerordentlich ritterlich; er hielt sie für ein attraktives, wohlerzogenes Mädchen, das an Clifford geradezu verschwendet sei, und er fand es jammerschade, daß sie Wragby keinen Erben schenken konnte. Er selbst hatte auch keinen.
Connie hätte gern gewußt, was er wohl sagen würde, wenn er wüßte, daß Cliffords Waldhüter intime Beziehungen zu ihr unterhielt und zu ihr sagte: «Du mußt mal zu meinem Haus kommen.» Er würde sie verabscheuen und über die Schulter ansehen, denn fast haßte er das Aufwärtsstreben der Arbeiterklasse. Einen Mann ihrer eigenen Klasse hätte er gelten lassen, denn Connie war von der Natur mit diesem Äußeren wohlerzogener, demütiger Mädchenhaftigkeit begabt, und vielleicht gehörte das zu ihrem Wesen. Winter nannte sie «liebes Kind» und schenkte ihr, eigentlich gegen ihren Willen, eine sehr hübsche Miniatur einer Dame aus dem 18. Jahrhundert.
Doch Connies ganzes Interesse galt nur ihrer Affäre mit dem Heger. Mr. Winter, der wirklich ein Gentleman und ein Mann von Welt war, behandelte sie schließlich als Persönlichkeit und als unterscheidbares Einzelwesen, er warf sie nicht in einen Topf mit seiner gesamten übrigen Weiblichkeit durch Aufforderungen wie: «Du mußt mal zu meinem Haus kommen.»
Sie ging weder an diesem Tag in den Wald noch am nächsten, noch am übernächsten. Sie ging nicht, solange sie fühlte oder zu fühlen glaubte, daß der Mann auf sie wartete, nach ihr verlangte. Am vierten Tag jedoch war sie schrecklich unstet und rastlos. Sie sträubte sich noch immer, in den Wald zu gehen und ihre Schenkel wieder dem Mann zu öffnen. Sie ließ sich alles durch den Kopf gehen, was sie unternehmen könnte: nach Sheffield fahren, Besuche machen – und der Gedanke an all diese Dinge widerstand ihr. Endlich faßte sie den Entschluß, einen Spaziergang zu machen – nicht in den Wald, sondern in die entgegengesetzte Richtung; sie würde nach Marehay gehen, durch das kleine Eisentor auf der anderen Seite der Parkumzäunung. Es war ein stiller grauer Frühlingstag, beinah warm. Geistesabwesend schritt sie dahin, tief in Gedanken, deren sie sich nicht einmal bewußt war. Sie war sich eigentlich keiner Sache außerhalb ihrer selbst bewußt, bis sie vom lauten Gebell des Hundes vom Marehay-Hof aus ihrer Versunkenheit gerissen wurde. Der Marehay-Hof! Seine Weiden erstreckten sich bis ans Parkgitter von Wragby; so waren sie Nachbarn, doch es war lange her, seit Connie dort einen Besuch gemacht hatte.
«Bell!» rief sie den großen weißen Bullterrier an. «Bell, hast du mich vergessen? Kennst du mich nicht mehr?» – Sie fürchtete sich vor Hunden, und Bell sprang zurück und kläffte laut, und sie wollte über den Hof gehen und weiter auf dem Pfad durchs Gehege.
Mrs. Flint tauchte auf. Sie war eine Frau in Constances Alter, war Lehrerin gewesen, und Connie hatte sie im Verdacht, ein ziemlich falsches Ding zu sein.
«Nanu, das ist ja Lady Chatterley! Ja, so was!» Mrs. Flints Augen funkelten, und sie wurde rot wie ein junges Mädchen. «Bell! Bell! Was ist denn los? Lady Chatterley so anzubellen! Bell! Sei still!» Sie stürzte sich auf den
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