Lady Chesterfields Versuchung
wirst schon sehen.“ Sie nahm ihre Tochter bei der Hand, zog sie auf die Füße und führte sie aus dem Salon. „Ich warte hier im Flur.“ Sie drückte Hannah aufmunternd die Hand und schob sie durch die offen stehende Tür ins Arbeitszimmer des Marquess.
Die Vorhänge waren halb zugezogen, und es war dämmrig im Raum. Hannah wartete, dass Lord Belgrave zu sprechen begann. Doch stattdessen schloss der Baron wortlos die Tür hinter ihr, sperrte sie ab und steckte den Schlüssel ein.
Hannah stand wie erstarrt und fragte sich, was er vorhaben mochte. Wollte er sich ihr etwa in ihrem eigenen Elternhaus aufzwingen? Ihre Furcht verwandelte sich in Wut.
„Seien Sie froh, wenn ich Ihnen Ihren Ungehorsam vergebe.“ Belgrave trat auf sie zu. „Sie scheinen zu glauben, dass Sie sich aussuchen können, wen Sie heiraten. Aber welcher Gentleman will eine Frau, die von einem Soldaten entehrt wurde?“
„Lieutenant Thorpe hat sich nichts zuschulden lassen kommen. Und lieber ende ich als alte Jungfer, bevor ich Sie heirate.“
Sie würde sich zur Wehr setzen. Mit gutem Benehmen konnte sie ihre Jungfräulichkeit nicht verteidigen – jetzt waren Taten gefragt.
Unauffällig ließ Hannah den Blick durchs Zimmer gleiten. Weder Bücher noch der große Globus in der Ecke eigneten sich sonderlich gut als Waffen. Wo war das mittelalterliche Schwert, wenn man eines brauchte? Oder noch besser – der Keuschheitsgürtel?
Belgrave zuckte die Schultern. „Wenn wir erst einmal verheiratet sind, kümmert es niemanden mehr, dass Sie mit dem Lieutenant allein waren.“
„Es ist Ihre Schuld!“, erwiderte sie scharf. „Alles. Und ich weiß, dass Sie Gerüchte über mich verbreiten wollen.“
„Nur die Wahrheit“, entgegnete er grinsend. „Wenn Sie mich heiraten, werde ich die ganze Sache natürlich vergessen.“
„Glauben Sie ernsthaft, ich verzeihe Ihnen, dass Sie drohen, den Namen meiner Familie in den Schmutz zu ziehen?“
„Wie sonst sollte ich die Tochter eines Marquess zur Frau bekommen?“ Er hob die Hand und strich ihr über die Wange. „Der Zweck heiligt die Mittel. Vielleicht sind Sie und Ihre Mutter schon morgen damit beschäftigt, Ihre Aussteuer zu kaufen.“
Das schlug dem Fass den Boden aus. Allein seine Gegenwart erfüllte sie mit einem Ekel, aber bei seiner Berührung war ihr, als krabbelten ihr scharenweise Insekten über die Haut. Als er sich über ihren Nacken beugte, griff Hannah blind nach dem Kerzenleuchter aus Messing, der auf dem Schreibtisch ihres Vaters stand, holte weit aus und ließ ihn auf Belgraves Schädel niederkrachen. Gleichzeitig schmetterte ihm ein anderer Angreifer ein wuchtiges Lexikon gegen die Schläfe.
Mit einem dumpfen Schmerzenslaut sackte der Baron zu Boden.
„Gut gezielt.“ Lieutenant Thorpe nickte anerkennend und lächelte Hannah zu.
Liebe Güte, wo kam er so unvermittelt her? Nicht, dass sie ihm nicht dankbar war für sein Erscheinen, doch er hatte sie fast zu Tode erschreckt.
Hannah deutete auf Belgraves Körper. „Haben wir ihn getötet?“
Das fehlte ihr gerade noch – wegen Mordes gehängt zu werden.
„Ich bezweifle es.“
Erleichtert setzte sie sich in einen der Ledersessel beim Kamin und hielt sich die Stirn. „Was machen Sie hier? Hatten wir nicht vereinbart, dass Sie ein paar Tage warten?“
Michael setzte sich ihr gegenüber. „Der sechste Sinn eines Soldaten. Sie baten mich, eine Eheschließung zwischen Ihnen und Belgrave zu verhindern. Als ich am Haus vorbeikam, sah ich seine Kutsche vor dem Eingang stehen.“
Es war eine nette Art, ihr mitzuteilen, dass er ihr nachspionierte, wie sie dankbar feststellte. Es hieß, dass er sein Versprechen, sie zu beschützen, gehalten hatte. „Wie sind Sie unbemerkt ins Haus gelangt?“
Der Lieutenant deutete auf das Fenster. „Das war nicht schwierig. Ich wollte mich kurz hereinschleichen, davon überzeugen, dass es Ihnen gut geht und wieder verschwinden.“
Er war ihr mit einem Wörterbuch bewaffnet zu Hilfe geeilt. Bei dem Gedanken verspürte sie den Drang, laut zu lachen, doch sie unterdrückte ihre Erheiterung, als ihr Blick auf Belgraves reglosen Körper fiel. „Vielleicht sollte ich Riechsalz besorgen.“
„Lassen Sie ihn. Er macht sich ziemlich gut auf dem Boden – vor allem, wenn man bedenkt, was er Ihnen angetan hat.“
Obwohl sie dem Lieutenant im Grunde zustimmte, widersprach sie. „Nein, es wäre wirklich nicht sehr höflich, ihn dort liegen zu lassen. Ich hätte nicht mit dem
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