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Lady Chesterfields Versuchung

Lady Chesterfields Versuchung

Titel: Lady Chesterfields Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Willingham
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Lieutenant nichts sagte, ahnte Hannah, welchen Groll er gegen Belgrave hegte.
    „Was soll ich bloß tun?“, fragte sie leise. Beschämt stellte sie fest, dass sie das Hemd des Lieutenants nass geweint hatte.
    Er zog sie an seine Brust und strich ihr beruhigend über den Rücken. „Ich finde, Sie sollten London verlassen.“
    „Ich bin völlig Ihrer Meinung.“ Wenn sie nicht da war, würde die Gerüchteküche von ganz allein verstummen.
    Mit dem Handrücken wischte sie ihre Wangen trocken und löste sich aus seiner Umarmung. Entgegen ihrer Erwartung fühlte sie sich kein bisschen verlegen dafür, dass sie sich von ihm hatte trösten lassen.
    Sie setzte sich aufrecht, sorgfältig darauf bedacht, einen angemessenen Abstand zu Michael Thorpe einzuhalten. Ihm gegenüber kam sie sich ungewohnt klein und zerbrechlich vor. Er wirkte immer noch sehr angespannt, als sei er bereit, jeden Moment die Flucht zu ergreifen.
    „Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe. Wissen Sie, ob jemand Sie gesehen hat?“
    „Ich glaube nicht“, erwiderte er ruhig. „Zum Glück stand das Fenster im Arbeitszimmer Ihres Vaters offen.“
    Sie strich sich die Röcke glatt. „Ich weiß zu schätzen, was Sie für mich getan haben.“
    „Nachdem Sie den Baron mit einem Leuchter zu Boden geschlagen haben, wird Lord Rothburne Sie sicher nicht mehr zu dieser Heirat zwingen.“
    Hannah nickte und hoffte, dass er recht hatte. „Wann reisen Sie auf die Krim ab?“
    Ihre Frage schien dem Lieutenant unangenehm, denn er aß das Schinkensandwich schweigend zu Ende, bevor er antwortete. „Mein Marschbefehl wurde geändert. Man hat mich stattdessen nach Lohenberg beordert.“
    Lohenberg? Hannah horchte auf. Ihre beste Freundin aus Internatszeiten stammte von dort. Amanda hatte ihr sogar Lohenisch beigebracht, die Mundart, die man in Lohenberg sprach. Bei der Erinnerung glitt ein Lächeln über Hannahs Züge. Dann runzelte sie die Stirn. Was mochte die britische Armee mit dem kleinen Fürstentum in Deutschland zu schaffen haben? Der winzige Staat besaß kaum nennenswerten politischen Einfluss.
    Mit schräg gelegtem Kopf sah sie den Lieutenant an. „Heißt das, dass Sie nicht mehr an die Front zurückkehren?“ Bevor er antworten konnte, fuhr sie fort: „Das ist allein meine Schuld, habe ich recht? Mein Vater …“
    „… hat nichts damit zu tun“, beendete Michael ihren Satz. „Jemand anderes hat bei dieser Sache seine Finger im Spiel.“
    „Wer?“
    „Der Graf von Reischor.“ Der Lieutenant biss ein Stück von dem Käse ab. „Es ist eine lange Geschichte.“
    „Er war auf dem Ball“, erinnerte Hannah sich. Ihr Vater war mit dem Botschafter von Lohenberg befreundet, aber bisher hatte sie kaum ein Wort mit dem Mann gewechselt. „Was der Graf wohl von Ihnen will?“ Sie unterbrach sich bestürzt. Ihre Frage klang, als schätzte sie Thorpes militärischen Rang für zu gering ein, als dass ein Graf etwas mit ihm zu verhandeln habe. „Ich meine, weswegen sollte er an einer Änderung Ihrer Befehle interessiert sein?“
    „Ich gehe davon aus, dass er mir das morgen erklären wird.“ Der Lieutenant zuckte die Schultern. Offensichtlich wollte er nicht weiter über das Thema sprechen. Er machte Anstalten, sich zu erheben, doch Hannah hielt ihn auf.
    „Warten Sie. Es gibt noch Nachtisch.“
    Sie hob eine flache Schüssel aus dem Korb, nahm die Serviette ab, mit der sie abgedeckt war, und hielt sie Thorpe zusammen mit einer Kuchengabel hin. „Die neueste Dessertkreation unserer Köchin. Sie ist nach dem Vorbild der berühmten Wiener Sachertorte zubereitet, und Sie müssen sie unbedingt probieren.“
    Ihr war nie gestattet worden, von dem reichhaltigen Nachtisch zu kosten, doch es sprach nichts dagegen, dass der Lieutenant sich die köstliche Süßspeise gönnte. Hannah drückte ihm die Schüssel mit dem Kuchen in die Hand, sodass ihm keine Wahl blieb, als ihn anzunehmen.
    Hannah lief das Wasser im Munde zusammen. Süße Aprikosenmarmelade zwischen den einzelnen Tortenschichten und dicke Schokoladenglasur obendrauf. Wie etwas, das so köstlich aussah, wohl schmecken mochte?
    Der Lieutenant stach seine Gabel in den Kuchen, und Hannah starrte fasziniert auf das verbotene Dessert. Es war ein so verlockender Anblick, dass sie nur mühsam den Blick davon abwenden konnte.
    „Sie sehen aus, als würden Sie mir den Kuchen am liebsten aus den Händen reißen“, bemerkte der Lieutenant amüsiert. „Möchten Sie kosten?“
    „Nein, ist schon in Ordnung.“ Lüge.

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