Lady Chesterfields Versuchung
herunterzureißen und ihren Körper in Besitz zu nehmen.
Allein die Vorstellung, dass sie ihn mit den Schenkeln umschlang, während er tief in ihr war, entfachte eine unbändige Lust in ihm. Doch sie war keine Frau, mit der man spielte, sondern eine junge Dame von Stand, deren weichherziges, eigensinniges und gescheites Wesen ihn bezauberte.
Vielleicht brachte er es deshalb nicht fertig, sie zu entehren. Wenn er ihr die Unschuld raubte, würde sie den Preis dafür zu zahlen haben. Und er durfte ihr die Möglichkeit, sich gut zu verheiraten, nicht nehmen, gleichgültig, wie sehr er sie begehrte.
Bei der Vorstellung, dass ein anderer Mann Hannah so nah kommen würde wie er an diesem Abend, ballte er die Hände wütend zu Fäusten. Ihm war nicht entgangen, was für begehrliche Blicke die Gentlemen Hannah bei Tisch zugeworfen hatten. Aber auf irgendwelche besitzergreifenden Regungen hatte er kein Recht. Weder am Dinnertisch noch jetzt.
Er drückte ihre Hand und sah sich suchend nach Mrs Turner um. Als sie an einem der Matrosen vorübergingen, zog er Hannah näher zu sich, sowohl um sie angesichts der schlingernden Schiffsbewegungen zu stützen, als auch um die Seeleute unmissverständlich zu warnen.
„Entschuldigen Sie, Mylord.“ Der Bootsmann kam ihnen entgegen und hielt sie auf. „Der Captain hat angeordnet, dass die Passagiere heute Nacht unter Deck bleiben müssen. Zu ihrer eigenen Sicherheit.“
Das überraschte Michael nicht sonderlich, allerdings konnte er auf die Anweisungen des Kapitäns keine Rücksicht nehmen, solange Mrs Turner orientierungslos umherirrte und Gefahr lief, über Bord zu gehen und zu ertrinken. Abigail Turner war alles, was ihm an Familie geblieben war, und er würde tun, was immer vonnöten war, um sie zu beschützen.
Er musterte den Bootsmann mit der Überheblichkeit eines Militäroffiziers. „Lady Hannah vermisst eine ihrer Dienerinnen“, erklärte er kurz angebunden. „Wir fürchten, dass sie sich verlaufen hat.“
Der Seemann zuckte die Schultern. „Ich habe sie jedenfalls nicht gesehen“, erwiderte er unbeeindruckt. „Vielleicht trifft sie sich mit jemand.“ Seinem vielsagenden Blick nach zu urteilen, ging er davon aus, dass auch Hannah und Michael sich heimlich trafen.
Michael bedachte den Bootsmann mit einem drohenden Blick. Er würde nicht zulassen, dass jemand Hannah beleidigte. Umgehend verschwand das anzügliche Grinsen aus dem Gesicht des Mannes, und er stand stramm. „Sie ist ungefähr dreiundsechzig, hat gelocktes graues Haar und hellbraune Augen“, erklärte Michael. „Eine zierliche Person.“
Der Seemann schüttelte den Kopf. „Es tut mir leid, Mylord. Ich muss mich um die Takelage kümmern, aber ich lasse nach einem Matrosen schicken, damit er Ihnen behilflich ist, falls Sie das wünschen.“
„Tun Sie das.“ In der Zwischenzeit würden er und Hannah die Suche an Deck fortsetzen, Zoll für Zoll, wenn es sein musste. Mit einem brüsken Nicken verabschiedete er sich und gab vor, Hannah zum Promenadendeck zu führen, doch im letzten Moment bogen sie in Richtung des Vorderdecks ab.
Im spärlichen Licht der Öllampen konnten sie kaum etwas sehen. Trotzdem suchten sie jeden Winkel ab, und das Glück war ihnen hold. Plötzlich erspähte Michael Mrs Turners Schutenhut, den der Wind über das Deck trieb.
„Sie ist hier.“ Aufgeregt drückte er Hannahs Hand. „Sagen Sie mir sofort Bescheid, wenn Sie sie sehen.“
Sie hielten mehr als eine Viertelstunde vergeblich nach Mrs Turner Ausschau, dann hörten sie sie plötzlich singen. Ihre zittrige Stimme kam von irgendwo oberhalb ihrer Köpfe. Als Michael aufblickte, entdeckte er sie hoch über ihnen in einer der Webleinen. Sie hielt die Taue fest umklammert und schaukelte mit den schlingernden Bewegungen des Schiffes hin und her.
„Du liebe Güte!“, stieß Hannah entsetzt hervor, als auch sie die alte Frau entdeckte. „Was macht sie dort oben? Sie wird abstürzen und sich den Hals brechen.“
„Nicht, wenn ich sie vorher herunterhole.“ Michael zog seinen Abendfrack aus, ergriff die Webleine und begann, zu Mrs Turner hinaufzuklettern. Da sie in der Dunkelheit sein Gesicht nicht erkennen würde, rief er ihr zu, dass er auf dem Weg zu ihr war.
„Henry?“, rief sie zurück. „Bist du das?“
„Nein, ich bin es, Michael Thorpe.“
Als sie zunächst nicht antwortete, schöpfte er Hoffnung. Ihre Röcke bauschten sich im Wind, doch sie schien sich gut festzuhalten.
„Lassen Sie mich Ihnen
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