Lady Chesterfields Versuchung
serviert.
Hannah fiel auf, dass das Paar neben ihnen sie beobachtete. Zwar versuchten der Mann und die Frau, sie nicht anzustarren, aber es war offensichtlich, dass Michael ihre Aufmerksamkeit erregt hatte.
„Hallo“, sagte Hannah und nickte ihnen grüßend zu. Sie war sich darüber im Klaren, dass es für sie als vermeintliche Ehefrau höchst unschicklich war, das Wort vor ihrem Gatten zu erheben, doch sie sah keinen anderen Weg, wenn sie an die Informationen gelangen wollten, derentwegen sie hier waren. Dann stellte sie Michael als Lieutenant Thorpe und sich als seine Gemahlin vor. Der Mann erwiderte die Begrüßung, und Hannah erfuhr, dass sie die Ehre mit Helmut und Gerda Dorfer hatten.
„Sie kommen aus London?“, fragte Herr Dorfer interessiert.
„Ja.“ Hannah spießte ein Stück Wurst mit der Gabel auf. „Ich habe Verwandte hier in der Nähe, und mein Mann wollte schon immer einmal nach Lohenberg reisen.“
„Wenn Sie die Bemerkung gestatten“, Frau Dorfer lächelte freundlich, „Ihr Mann sieht unserem Fürsten zum Verwechseln ähnlich. Als der Fürst jünger war, versteht sich.“
Herr Dorfer warf seiner Gemahlin einen warnenden Blick zu, und sie verstummte abrupt, als sei ihr bewusst geworden, was sie mit ihren Worten angedeutet hatte.
Doch Hannah war nicht bereit, diese Gelegenheit ungenutzt verstreichen zu lassen. Sie streckte Michael die Hand entgegen und forderte ihn stumm auf, ihr Geld zu geben. Glücklicherweise verstand er sie auch ohne Worte und legte ihr ein paar Scheine in die Handfläche. Hannah schob Frau Dorfer das Geld zu. „Wir sind auf dem Weg in die Residenzstadt und wollen dort um eine Audienz bei Fürst Georg ersuchen. Ich wäre Ihnen äußerst dankbar, wenn Sie uns jemanden nennen könnten, der uns in dieser Angelegenheit weiterhelfen kann.“
Frau Dorfer sah zu ihrem Mann, der zögernd nickte. „Ich kann Ihnen vielleicht weiterhelfen“, erwiderte sie. „Vor meiner Ehe mit Helmut war ich als Zofe bei Hof angestellt.“ Sie sah unsicher zu Michael. „Aber weswegen wollen Sie den Fürsten aufsuchen?“
„Frag sie, ob sie die Gerüchte um den vertauschten Prinzen kennt“, bat Michael, und nachdem Hannah übersetzt hatte, wurde Gerda blass. Das Paar diskutierte eine Weile leise miteinander, dann gelang es Frau Dorfer, ihren Mann umzustimmen, und schließlich sprach sie an Hannah gerichtet weiter. „Reden Sie mit dem Hofmarschall, Freiherrn von Castell. Er wird Ihnen Ihre Fragen beantworten und möglicherweise ein Treffen mit dem Oberkämmerer Graf Schliessing arrangieren können.“ Sie errötete. „Der weiß ganz sicher, was zu tun ist.“
Als Hannah ihm alles übersetzt hatte, wirkte Michael angespannt und missmutig. Allerdings wusste sie nicht zu sagen, ob es an den Informationen lag oder daran, dass er sich nicht verständigen konnte.
Sie dankte Frau Dorfer, die ihnen einen Gasthof in der Residenzstadt nannte, wo sie gut untergebracht sein würden. „Außerdem wäre es ratsam“, ergänzte sie, „wenn Ihr Mann sich vor der Audienz nicht in der Öffentlichkeit zeigt. Wenn seine Ähnlichkeit mit dem Herrscher an falscher Stelle auffällt, wird man Sie vielleicht gar nicht erst zu Fürst Georg vorlassen.“
Hannah nickte und wandte sich wieder ihrem Frühstück zu. Michael aß und starrte in die Ferne, als versuche er, sich die vergessene Sprache in Erinnerung zu rufen.
„Ich glaube nicht, dass Sie mit dem Oberkämmerer reden sollten“, sagte Hannah auf Englisch zu ihm. „Dann wäre es ein Leichtes für den Fürsten, Sie beiseitezuschieben und so zu tun, als würden Sie nicht existieren. Ich glaube vielmehr, wir sollten uns Ihr Aussehen zunutze machen.“
„Was meinen Sie damit?“
„Sie sollten den direkten Weg wählen. Verlangen Sie, mit dem Fürsten zu sprechen. Finden Sie heraus, ob Sie tatsächlich sein Sohn sind.“
„Man hat bereits zwei Mal versucht, mich zu töten“, wandte Michael ein.
„Umso wahrscheinlicher, dass Sie der echte Prinz sind. Jemand hält Sie für eine Bedrohung – und möchte Sie deswegen töten.“
15. KAPITEL
D en Nachmittag verbrachten sie mit einer Beschäftigung, bei der Michael wahre Höllenqualen litt. Einkaufen.
Er hatte zugestimmt, ohne zu ahnen, dass Hannah ihn von einem Geschäft zum nächsten zerren würde, um Kleidung für ihn auszusuchen, die er mit dem Geld bezahlte, das Graf Reischor ihm gegeben hatte.
Hannah war nicht davon abzubringen gewesen, dass er sich wie ein Mitglied der Fürstenfamilie zu
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