Lady Daphnes Verehrer
deutlich zum Ausdruck, dass sie nicht darüber sprechen wollte. Er musste es dennoch tun. Dieses Gespräch war aus Gründen wichtig geworden, die er sich selbst nicht erklären konnte. Wichtig und notwendig.
Er ergriff ihre Hand und führte sie zu einem Baumstamm, der am Rand der Wiese wie eine Bank zum Verweilen einlud. Als sie darauf Platz genommen hatte, hielt sie ihren Blick auf die wilden Blumen und den Sonnenuntergang gerichtet. Sie schaute überallhin, nur nicht in sein Gesicht.
»Ich habe Margaret wiedererkannt«, sagte er. »Sie war auch keine Mätresse von Becksbridge. Sie war ein Dienstmädchen, das von Latham übel missbraucht wurde. Ich weiß es, weil ich ihn dabei erwischt habe.«
Sie sah zu ihm auf und errötete. Dabei ließ sie die Schultern etwas sinken, als wäre ihr die Last zu groß geworden, ihr Schutzschild zu schwer.
»Ich habe es erst bei meinem Besuch erfahren«, sagte sie leise. »Ich hatte es allerdings vermutet. Nicht gleich, aber im Lauf der Zeit kam mir der Verdacht. Und dann, als Sie sagten, es gäbe vier solche kleine Liegenschaften … Nun, da dachte ich, dass wir vielleicht alle etwas gemeinsam haben – aber nicht das, was Sie dachten. Also habe ich Margaret aufgesucht und sie gefragt. Sie sagte, einer seiner Freunde sei gekommen und habe es beendet. Ich habe mir schon überlegt, ob Sie es vielleicht waren …«
Er hatte es befürchtet, aber zu hören, dass es tatsächlich so gewesen war, gefiel ihm überhaupt nicht. Er verschränkte die Arme vor der Brust, wandte sich ab und schaute finster zum Horizont. »Ich bringe ihn um.«
Sie fasste ihn behutsam am Arm. »Es war nicht so, wie Sie denken. Sie sollen wissen, dass es bei mir anders war.«
»Anders? Was soll das heißen?« Der Gedanke, sie könne womöglich willig gewesen sein, machte ihn noch wütender als die Vermutung einer Gewalttat – und das entsetzte ihn. Doch wie abscheulich seine Empfindungen auch waren, sie ließen sich nicht abschütteln, und er geriet immer mehr in Rage.
»Er war so höflich, zunächst mit mir zu tändeln. Ein paar verstohlene Küsse. Anspielungen auf eine Heirat. Mein Vater war ein Edelmann, und für mich war das nicht unvorstellbar. Wir hatten ein heimliches Stelldichein, bei dem er zu weit gegangen sei, erklärte er später. Weiter als er beabsichtigt hätte.«
»War es das tatsächlich, Daphne? Ein Rendezvous, das aus dem Ruder gelaufen ist?« Hör auf, sie anzuschreien, du Idiot, sagte er zu sich. Tu nicht so, als hättest du das Recht, eifersüchtig zu sein, nur weil es diese Schlange, dieser verdammte Becksbridge, war.
Sie wurde hochrot im Gesicht und bekam feuchte Augen. »Ich habe mir jahrelang Vorwürfe gemacht, Castleford, und ich dulde nicht, dass Sie es jetzt auch noch tun. Auch Becksbridge hat mir die Schuld daran gegeben. Dieser unerträgliche Mann hat mir Vorhaltungen gemacht. Ich hätte seinen Sohn verführt, hat er gesagt, und dass ich einen schlechten Charakter hätte.« Nun glitzerten zornige Tränen in ihren Augen. »Aber ich hatte versucht, ihm Einhalt zu gebieten, wissen Sie? Ich habe ihn angefleht aufzuhören, aber er hat weitergemacht. Viele denken, eine Frau verdiene es nicht anders, wenn sie einem Mann erlaubt, sie zu küssen. Ich selbst habe solche Vorstellungen schon vor Langem verworfen, aber ich weiß, dass diese Meinung weitverbreitet ist.«
Immer noch äußerst wütend und von dem Wunsch beseelt, Latham auf der Stelle den Garaus zu machen, nahm er neben ihr Platz. Sie blieben eine Weile still sitzen, beide in innerem Aufruhr. Er sah sie von der Seite an, während sie dagegen ankämpfte, die Fassung zu verlieren. Sie wollte nicht weinen wegen dem, das zu offenbaren er sie gezwungen hatte.
Er konnte sich gut vorstellen, dass der alte Herzog ihr gesagt hatte, sie sei selbst schuld gewesen. Es war in der Tat eine Ausrede, die häufig von Männern vorgebracht wurde.
»Ich bin nicht der Ansicht, dass Frauen Männer zu einem solchen Missbrauch verleiten, falls Sie sich das fragen, Daphne.«
Sie brachte ein schmales Lächeln zustande, doch in ihren Augen standen noch mehr Tränen. Sie wischte sie mit dem Handrücken fort, dann stieß sie ihn scherzhaft in die Rippen. »Wären Sie dieser Ansicht, hätten Sie sich schon vor Wochen über mich hergemacht und meinen Namen inzwischen längst vergessen.«
Er vergaß viele Namen, aber ihren würde er niemals vergessen. Das war ihm inzwischen klar. Er hielt die neckende Hand fest und verschränkte seine Finger mit ihren.
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