Lady Ghoul
Spiegeleiern zu schauen. Hastig zog er den schwarzen Gegenstand vom Gaskocher und sah sofort, daß der Speck verkohlt war. Die Eier sahen auch nicht mehr appetitlich aus. Wollte er sie noch essen, mußte er die Augen schließen. Wütend schleuderte er die Eier auf einen der bereitstehenden Teller, brach Brot ab, kippte Rotwein in ein Wasserglas und ging damit an Deck. Dort stand sein Stuhl und der kleine Tisch. Auch die Taucherausrüstung, die er an diesem Tag noch nicht angezogen hatte, lag dort. Ernie Balsam sah man an, daß er viel Sport trieb. Seine Figur war durchtrainiert. Er besaß breite Schultern, schmale Hüften und hatte kein Gramm Fett zuviel. Die Haut war stets sonnenbraun. Sie stand im Kontrast zu seinen hellblonden Haaren, die lockig auf dem Kopf wuchsen und so lang waren, daß sie den ebenfalls blonden Bart erreichten, der die untere Gesichtshälfte des Mannes umgab. Ein Abenteurer, dem das Leben Spaß machte, den allerdings jetzt gewisse Sorgen plagten.
Sie galten nicht ihm oder seinem Mahl, sondern seinem Freund Phil Garner, der sich noch immer in der Tiefe herumtrieb und dessen Tauchzeit allmählich ablief.
Es waren noch zehn Minuten. Die wollte Ernie Balsam abwarten, dann aber Rettungsmaßnahmen ergreifen.
Während er aß, beobachtete er das Wasser. Ernie hatte großen Hunger, die zwei Eier jedoch mußten reichen. Falls er tauchen mußte, wollte er sich den Magen nicht so vollschlagen.
Er befand sich mit seinem Boot allein auf See. Den Eindruck konnte er leicht bekommen. Da es etwas diesig geworden war, konnte er auch die türkische Küste im Norden nicht erkennen.
Dafür fiel sein Blick auf die aus dem Wasser ragenden Buckel, die wie die spitzen Rücken von Ungeheuern aussahen. Sie schienen in der Tiefe zu hocken und nur auf den Zeitpunkt zu warten, um irgendwann einmal aufzutauchen. - Nach dem kargen Mahl trank er den roten Landwein in kleinen Schlucken und schaute auf die grünblaue Wasserfläche des Meeres.
Hier unten konnte man es aushalten. In England dagegen war es kalt und naß. Richtig vorwinterliches Wetter, aber südlich der türkischen Küste konnte man leben. Besonders deshalb, weil der Strom der Touristen nachgelassen hatte. Die Urlaubshungrigen bereiteten sich jetzt auf den Wintersport vor. Weihnachten stand vor der Tür. Ernie blickte auf die Taucheruhr, die er stets am linken Handgelenk trug. Die Zeit, die sich sein Freund selbst gegeben hatte, war bereits um zehn Minuten überschritten.
Das paßte einfach nicht zu Phil. Erwarein pünklicher Mensch, ein Mann, auf den sich Ernie verlassen konnte. Wenn er noch nicht aufgetaucht war, mußte das seinen Grund haben.
Trotz Sonnenbräune wurde Ernie Balsam blaß. Seine Adern am Hals zuckten, obwohl er noch keinen großen Grund zur Beunruhigung sah. Der Sauerstoff reichte nicht nur für zwei Stunden, sondern für dreißig Minuten mehr.
Er ging wieder an Deck.
War die Luft kühler geworden, oder kam ihm dies nur so vor, weil er innerlich voller Sorge und Unrast steckte? Er stellte sich an die Reling und schaute über das Wasser, das flache Wellenberge produzierte und eine andere Farbe angenommen zu haben schien.
Sein Blick glitt hinüber zu den Felsen, die aus dem Meer ragten. Gegen sie schlugen die Weilen und umgaben das Gestein mit einem weißen Schaumbart.
Eine Zigarettenlänge wollte Ernie Balsam noch warten. Hin und wieder rauchte er, besonders in Streßsituationen wie diesen hier. Die Schachtel mit den Selbstgedrehten steckte in der Brusttasche seines gestreiften Kurzärmelhemdes.
Er holte die zerknitterte Packung hervor und klopfte ein Stäbchen aus der Öffnung.
Der Taucher leckte über den Papierrand, zündete ein Streichholz an und deckte die Flamme mit einer Hand ab, um sie gegen den Wind zu schützen. Dann paffte er die ersten Wolken, und sein Blick glitt abermals über die Reling hinweg.
Er wollte das Meer sehen. Vielleicht die Stelle entdecken, wo sein Freund auftauchte.
Ersah nichts — oder?
Die Zigarette war vergessen, er schleuderte sie ins Meer, sie störte nur. Dort wo der Felsen aus dem Wasser ragte, entstand ein Wasserwirbel. Tauchte sein Freund auf? Oder ein Hai?
Über Ernies Rücken strich eine kalte Hand. Es war nur die Gänsehaut, die sich dort gebildet hatte und auch seinen Nacken zusammenzog. Etwas stimmte nicht mit dem Meer.
Er schaute hoch zum Himmel. Dort hatte sich nichts verändert. Das Blau war um eine Idee dunkler geworden. In diese Farbe hinein schössen die dunkelroten Strahlen der
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