Lady Helenes skandaloeser Plan
»Es ist der Earl von Mayne.«
»Wenn Mayne glaubt, dass er für dich eine Kerbe in seinen Bettpfosten schnitzen kann, dann hat er sich schwer getäuscht«, sagte Cam leise, und mit einem Mal war der kultivierte Herzog verschwunden und an seiner Statt der starke, wilde Mann zum Vorschein gekommen, der Jahre seines Lebens in Griechenland verbracht hatte und seine Frau, wenn nötig, mit Gewalt beschützen würde.
»Mayne macht doch Helene den Hof«, klärte Gina ihn auf.
Cam dachte einen Moment über diese Eröffnung nach. »Das kann ihr nur guttun.« Er grinste verschlagen. »Ich fand sie immer ein wenig verklemmt.«
»Cam!«, protestierte Gina ärgerlich. »Ich lasse meine Freundinnen nicht verspotten, weder von dir noch von anderen.« Sie wandte sich an Towse. »Bitten Sie den Earl, mich im Garten aufzusuchen«, rief sie ihm zu.
»Ich gebe dir zehn Minuten mit dem Verführer«, mahnte ihr Mann und zog sie noch einmal an sich. »Zehn Minuten und keine Sekunde länger, dann gehörst du wieder
diesem
Verführer.«
Widerworte lagen Gina auf der Zunge, doch sie begriff, dass es keinen Sinn hatte, sich ins eigene Fleisch zu schneiden. Sie wollte ebenso wenig das herausfordernde Lächeln ihres Mannes missen wie den Earl von Mayne küssen, und wenn er noch so verführerisch war.
»Na schön«, flüsterte sie. »Zehn Minuten.« Schon beim Blick in seine Augen mit den langen, rauchschwarzen Wimpern kribbelte es in ihrem Bauch.
»Verspäte dich nicht«, mahnte er.
Der Earl von Mayne fand die Herzogin im Garten vor, wo sie Rosen von einem Strauch schnitt. Sie wirkte ein wenig erhitzt von ihrer Gartenarbeit.
»Wie angenehm, Sie zu sehen«, grüßte sie und hielt ihm lächelnd ihre zarte Hand entgegen.
Mayne bewunderte die Harmonie der Farben: Das hellrote Haar der Herzogin hatte fast den gleichen Farbton wie die Rosen, die in ihrem Körbchen lagen. »Es ist doch wirklich zu schade, dass Sie so glücklich verheiratet sind«, bemerkte er und drückte einen Kuss auf ihre Hand. »Darf ich sagen, dass ich mich glücklich schätzen würde, wenn sich dieser Umstand eines Tages änderte?«
Sie kicherte, und dieser leise Laut des Glücks fuhr ihm geradewegs in die Lenden. Wenn er nur eine Frau wie sie finden könnte, dann wäre die Ehe gar keine so schlechte Aussicht mehr.
»Ich nehme nicht an, dass Sie gekommen sind, um über mein angebliches Eheglück zu reden.« Das Lächeln, das ihren Mund umspielte, ließ jedoch keinen Zweifel daran, dass dieses
Eheglück
echt war.
»Eigentlich«, sagte er, »kam ich in der Hoffnung, dass Sie mir die Adresse Ihrer reizenden Freundin Helene geben könnten.«
»Stehen Sie mit Helene auf so vertrautem Fuß?« Sie musterte ihn ungeniert neugierig.
»Sie besaß die Güte, mir zu erlauben, sie beim Vornamen zu nennen.«
Nun schien sich die Herzogin der Geschichte zu entsinnen, die man ihr aufgetragen hatte. »Helene hat beschlossen, eine Kur anzutreten«, sagte sie tugendhaft. »Die Saison hat sie sehr angestrengt. Ich fürchte jedoch, dass es mir nicht gestattet ist, ihre Adresse preiszugeben.«
»Hmm«, machte Mayne. »Ich hätte die Gräfin für eine Frau gehalten, die übel schmeckende Arzneien meidet. Und als ich sie kürzlich gesehen habe … kam sie mir kerngesund vor.«
»Nun, wie dem auch sei«, sagte Gina, die schätzte, dass mindestens acht Minuten vergangen waren, seit Cam nach oben gegangen war. »Ich fürchte, ich darf ihre Adresse nicht herausgeben. Das wäre ein Vertrauensbruch.«
Mayne seufzte innerlich und entnahm seiner Brusttasche ein Briefchen. »Wenn der Fall so liegt – wären Sie bitte so freundlich, ihr diesen Brief aushändigen zu lassen?«
Gina schenkte ihm ein strahlendes Lächeln und wandte sich dann recht eilig dem Haus zu. »Ich werde ihn sofort einem Lakaien geben«, versprach sie, während sie den Earl Richtung Haus zog.
Zwei Minuten später fand Mayne sich ohne Umstände vor die Tür gesetzt. Er blieb vor dem Haus stehen und konsultierte seine Taschenuhr, bis der Butler der Girtons das Portal schloss. Haus und Straße dösten unter der Hitze, die London an diesem Morgen getroffen hatte.
Das einzige Anzeichen von Leben zeigte sich am Dienstboteneingang zu seiner Linken. Unter Maynes Blick lieferte ein Gemüsehändler eine Ladung Kohlköpfe. Mayne nickte dem Lakaien zu, der wartend neben seiner Kutsche stand. »Wir warten noch einen Moment, Bantam.« Falls er sich in der Herzogin nicht sehr irrte, war sie eine Frau, die einen Auftrag umgehend
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