Lady Lavinias Liebestraum
Ihnen?”
“Es heißt Ridgemere, doch wie groß es genau ist, kann ich nicht sagen. Mein Großvater hat den Besitz verkleinert, bevor er starb. Ich denke, es sind aber immer noch um die fünfhundert Hektar.”
“Weideland?”, fragte James.
“Drei Viertel davon, ja. Eine stattliche Zahl Schafe weidet darauf. Und darunter befinden sich Kohleminen.”
“Besitzen Sie die Schürfrechte?”, erkundigte James sich weiter.
“Ja.” Um weiteren Fragen zu entgehen, wandte Lord Wincote sich mit einem Lächeln zu Lavinia. “Man kann meilenweit über die Felder galoppieren, ohne einer Menschenseele zu begegnen. Ich würde Ihnen meine Heimat gern einmal zeigen.”
“Eines Tages haben Sie vielleicht die Gelegenheit dazu”, sagte sie. “Bis dahin muss ich das Beste aus den mir zur Verfügung stehenden Möglichkeiten machen.” Kaum hatte sie dies gesagt, spornte sie ihre Stute zum Galopp an und preschte quer über die Wiese. “Gentlemen, wir treffen uns an der Baumgruppe dort drüben!”
Es dauerte einen Augenblick, ehe die Angesprochenen sich gesammelt hatten und der temperamentvollen jungen Dame folgen konnten. James, vertrauter mit ihrer spontanen Art, kam schneller vom Fleck als Wincote. Lavinia hörte, wie er sich ihr näherte, und musste vergnügt auflachen. Sie wusste natürlich, dass sie niemals gewinnen konnte; James hatte das schnellere Pferd, und sie saß obendrein im Damensattel, der sich bei solchen Anlässen immer wieder als äußerst hinderlich herausstellte. James überholte sie mit Leichtigkeit und erwartete Lavinia, die Seite an Seite mit Wincote an der verabredeten Stelle eintraf.
“Wenn wir in Risley wären, hättest du nicht gewonnen”, erklärte sie, während sie sich, diesmal mit Lord Wincotes Hilfe, aus dem Sattel gleiten ließ. “Dort wäre ich nämlich mit einem Herrensattel geritten und hätte nun einige Guineas von dir eingefordert.”
“Wildfang!”, lachte James. “Das werden wir ja sehen, wenn wir das nächste Mal dort sind.”
“Abgemacht!”
“Mit Sicherheit würde
ich
es mir nicht erlauben, eine Dame verlieren zu lassen”, bemerkte Wincote mit gewichtiger Miene.
Lavinia stieg das Blut in die Wangen. “Wie liebenswürdig von Ihnen!”
“Ich habe Ihnen einen Vorschlag zu unterbreiten, Wincote”, sagte James und klopfte dem jungen Mann auf die Schulter. “Da Sie sich weigern, ernsthaft gegen das weibliche Geschlecht anzutreten – möchten Sie vielleicht gegen mich und einige meiner Freunde an den Start gehen? Begleiten Sie uns doch kommenden Freitag nach Hampstead Heath zu einem Rennen. Nichts Öffentliches, nur ein Spaß unter Freunden, die für ein paar Pennys um die Wette reiten.”
“Ich fühle mich geehrt, Mylord.”
“Oh fein! Wir werden einfach unseren Tagesausflug aufs Land, von dem wir sprachen, nach Hampstead verlegen. Wir Frauen werden Sie einfach begleiten und Ihnen bei Ihren Amüsements zusehen”, verkündete Lavinia und musste plötzlich kichern. “Oder wir veranstalten unsere eigenen.”
James seufzte. Das sah Lavinia ähnlich: aus einem Herrentreffen ein großes gesellschaftliches Ereignis zu machen. Allein der Gedanke an dieses Vorhaben hatte sie, wie er beglückt feststellen musste, vor Vergnügtheit strahlen lassen, sodass jeder, der sie sah, verzaubert sein musste. Um nichts in der Welt wollte er ihr das Vorhaben wieder ausreden – Lavinia, so überglücklich wie sie vor ihm stand, hätte just in diesem Augenblick alles von ihm verlangen können.
3. KAPITEL
“I ch bitt’ Euch, gnäd’ger Fürst, mir zu verzeihn’”, murmelte Lavinia, derweil sie in das kleine Büchlein, welches sie in den Händen hielt, hineinschaute. “‘Ich weiß nicht, welche Macht mir Kühnheit gibt …’” Plötzlich brach sie ab, da ein Passant sie ohne ein Wort des Bedauerns mitten auf dem Gehweg angestoßen hatte.
“Mylady, wir sollten lieber nach Hause gehen”, riet Daisy ihrer Herrin mit eindringlicher Stimme. “Ich habe niemals zuvor so viele Menschen auf einem Fleck gesehen.”
Lavinia war zu vertieft gewesen in eines der Exemplare von Shakespeares “Sommernachtstraum”, die sie vor wenigen Minuten in einem der Buchläden erstanden hatte, um die vielen Leute wahrzunehmen, die plötzlich von allen Seiten herbeiströmten. Sie schrien “Hurra! Gott schütze die Königin!” und liefen, Straßen wie Gehwege verstopfend, hinter einem offenen Landauer her.
Lavinia, Tom und Daisy hatten eigentlich die Absicht gehabt, in die entgegengesetzte
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