Lady Lavinias Liebestraum
Richtung die Oxfordstreet hinauf nach Hause zu laufen, doch sie kamen nur wenige Meter vorwärts: Ehe sie es sich versahen, waren sie mitten in der Menschenmenge gefangen, wurden mal nach rechts, mal nach links geschoben, bis die drei sich unter hilflosen Ausrufen aus den Augen verloren.
In dem Gedränge verlor Lavinia das Buch, ja sogar ihren Hut und, als sei dies nicht genug, einen Schuh. Während sie hinkend und unter heftigen Stößen von der Menge mitgerissen wurde, fragte sie sich, wie lange sie wohl noch vorankommen würde, ohne zu fallen. Geschähe dies, würde sie mit Sicherheit zu Tode getrampelt werden. Der Landauer der Königin bog gerade in die Portmanstreet, als jemand sie von hinten mit zwei starken Armen festhielt.
“Lassen Sie mich gehen!”, schrie Lavinia und versuchte sich aus dem festen Zugriff herauszuwinden. Ihr kunstvoll durch Schleifen und Nadeln zusammengehaltenes Haar löste sich, und einige der lockigen Strähnen fielen ihr ins Gesicht, sodass sie kaum mehr sehen konnte. “Lassen Sie mich augenblicklich los!”
“Ich fürchte, Mylady, wenn ich das täte, würden Sie niedergeworfen werden”, sagte da die ruhige Stimme Lord Wincotes.
Lavinia sah verblüfft über die Schulter. Unterdessen drängten die meisten Leute in die Portmanstreet, sodass das Geschiebe um sie her nachließ, doch obgleich die Gefahr gebannt schien, entließ ihr Retter sie nicht aus seiner Umarmung. “Mylord!”
Er hob die Hand, um ihr eine Locke aus dem Gesicht zu streichen. “Mylady, geht es Ihnen gut?”
“Ja. Jetzt, da Sie hier sind”, erwiderte sie und bewerkstelligte es schließlich, sich von ihm zu lösen und einen Schritt von ihm fortzutreten, um ihr offenes Haar hinter die Schultern zu verbannen. “Sie haben mich wohl vor dem Schlimmsten bewahrt, Mylord. Ich danke Ihnen.”
“Gern geschehen, Mylady, doch was, um alles in der Welt, hat Sie bewogen, an einem Tag wie diesem ohne Begleitung durch die Straßen zu laufen?”
“Ich war nicht allein. Ich hatte meine Zofe und einen der Diener bei mir. Wir haben uns leider in der Menschenmenge aus den Augen verloren.”
“Ich rate Ihnen, die Kutsche zu nehmen, solange Ihre Majestät in der Stadt weilt. Außerdem biete ich Ihnen gern meine Begleitung an, doch jetzt werde ich Sie besser nach Hause bringen.”
“Ich danke Ihnen”, erwiderte sie, während sie sich den verbliebenen Schuh auszog und ihn, als sie sich durch die nun ruhigere Oxfordstreet zu bewegen begannen, in der Hand behielt. “Aber zunächst muss ich sehen, wo Daisy und Tom abgeblieben sind.”
“Die beiden werden zweifellos ihren Weg nach Hause finden, Mylady. Sie sollten unverzüglich heimkehren, ehe Sie womöglich jemand erkennt.”
Lavinia lachte. “Sie haben recht, ich muss furchtbar aussehen.”
“Keineswegs, sondern, wie ich finde, nur entzückend derangiert. Gewisse Leute könnten dies jedoch mit anderen Augen sehen. Ist der Duke oder die Duchess of Loscoe zu Hause?”
“Nein, Papa ist wie immer im Parlament, und Mama stattet heute Vormittag dem Waisenhaus einen Besuch ab. Daher konnten wir unsere Einkäufe auch nicht mit der Kutsche erledigen.”
“Vielleicht ist es besser so. Sie werden genug Zeit haben, sich umzuziehen und Ihre Frisur zu richten, bis sie zurück sind. Wenn Sie erlauben, werde ich Ihnen dann am Nachmittag die Aufwartung machen, um sicherzugehen, dass Sie Ihr kleines Abenteuer gut überstanden haben.”
“Wie überaus freundlich von Ihnen, Mylord. Ich bereite Ihnen vermutlich große Unannehmlichkeiten”, antwortete sie verlegen.
Ihr Begleiter führte ihre Hand zu einem flüchtigen Kuss an die Lippen. “Nicht die geringsten, Lady Lavinia.”
Sie erreichten gerade den St. James Square, als Lord Corringham, der von der entgegengesetzten Seite des Platzes auf Stanmore House zuritt, ihrer ansichtig wurde. Kaum hatte er die beiden erreicht, sprang er vom Pferd und postierte sich mit dem Ausdruck größter Empörung vor ihnen.
“Lavinia, was zum Teufel ist mit dir geschehen?” Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte er sich zu Wincote. “Sir, wenn Sie ihr auch nur ein Haar gekrümmt haben, bei Gott, dann werde ich Sie zum Duell fordern.”
“James, halt an dich!”, mahnte Lavinia den Stiefbruder und legte beschwichtigend die Hand auf seinen Arm. “Lord Wincote war so gütig, mich vor dem Mob in der Oxfordstreet zu retten. Um ein Haar wäre ich zu Tode getrampelt worden. Wir können ihm sehr dankbar sein.”
“Ich bitte um Verzeihung,
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