Lady Lavinias Liebestraum
erntete beipflichtendes Nicken von den meisten Anwesenden.
Lavinia räusperte sich und warf James einen düsteren Blick zu. “‘Ein Sommernachtstraum’ ist eine Liebesgeschichte. Es geht um ein junges Mädchen namens Hermia, das sich weigert, seinem Vater Egeus zu gehorchen und Demetrius zu heiraten, den jungen Mann, den Egeus für seine Tochter bestimmt hat. Ihr bleiben vier Tage, sich zu entscheiden, bis sie durch die athenische Gesetzgebung entweder zum Tode verurteilt oder in ein Kloster geschickt wird.”
“Welch harte Strafe”, bemerkte Lord Wincote. “Ich habe allerdings schon von derlei gehört. Wenn auch nur von Einkerkerungen und Ähnlichem. Der Vater muss in der Tat ein grausamer Mensch sein, dass er seine Tochter zu opfern bereit ist. Ich hoffe inständig, dass der Duke of Loscoe nicht auch so unerbittlich ist.”
“Mylord, ich rede hier von einem Märchen, Sie sollten die Geschichte nicht mit der Wirklichkeit verwechseln.”
Lavinia hatte kaum zu Ende gesprochen, da schaltete James sich ein. “Das sollten Sie wirklich nicht, Wincote”, warnte er, “denn dann würden Sie mich in der Rolle des gnadenlosen Vaters erleben.”
“Ich habe mich gerade dazu entschlossen, dir nicht die Rolle des Egeus zu geben, James. Du scheinst mir zu jung”, beeilte Lavinia sich zu verkünden. “Lord Haverley hingegen kann ich mir gut als Hermias Vater denken.” Sie wandte sich zu dem älteren Gentleman um. “Sir, würden Sie den Part übernehmen?”
“Wenn Sie es wünschen, Lady Lavinia”, erwiderte er und deutete eine leichte Verbeugung an.
“Und du, James, wirst den Demetrius spielen, Lord Wincote Lysander und Constance die Helena.”
“Ich übernehme aber nur dann eine Rolle, wenn sich kein anderer findet, Lady Lavinia”, verkündete Constance schüchtern.
“Im Augenblick wüsste ich niemanden für diese Rolle. Bitte, Constance, sagen Sie Ja. Lord Corringham wird Ihnen bestimmt dabei helfen, die Passagen einzustudieren, nicht wahr, James?”
“Natürlich”, erwiderte er höflich und nickte zu der jungen Dame hinüber, die über und über rot wurde. “Mit dem größten Vergnügen.”
“Bitte fahren Sie fort, Lady Lavinia”, bat Sophie, die Tochter Lord Haverleys. “Was geschieht mit Hermia?”
“Sie und ihr Geliebter Lysander beschließen, gemeinsam zu fliehen. Demetrius verfolgt die beiden natürlich, während Helena wiederum Demetrius auf den Fersen ist, da sie diesen liebt und ihn von Hermia abbringen will. Ihre Flucht endet in einem Wald, wo die Elfen sich ihrer annehmen. Sie verfügen über einen Zaubertrank, der einen Schlafenden auf der Stelle in den verliebt macht, dessen er als Erstes ansichtig wird, sobald er die Augen wieder aufschlägt.”
“Da es sich um eine Komödie handelt, verlieben alle Beteiligten sich natürlich in den Falschen”, fügte Duncan eifrig hinzu. “Ich habe das Stück nämlich gelesen.”
“Und wer wird die Hermia spielen?”, fragte James gespannt. Falls Lavinia den Part übernehmen wollte, hätte sie einige Liebesszenen mit Wincote zu bestreiten. Er musste sich eingestehen, dass diese Vorstellung ihn hochgradig eifersüchtig stimmte. Zunächst war ihm der Gedanke gekommen, sie könnte aus Berechnung die Rolle der Hermia übernehmen wollen, doch beim Anblick ihrer großen Augen, deren offener, herzlicher Ausdruck keinerlei Falsch an ihr erkennen ließ, hatte er diesen Gedanken rasch wieder verworfen. Überdies wusste er, dass Lavinia ihr Herz auf der Zunge trug und ihm gegenüber nichts vorgeben konnte, was sie nicht wirklich meinte. Insbesondere dieser Wesenszug an ihr war es, was er so liebte.
“Ich werde erst einmal die Hermia übernehmen”, antwortete sie und blickte zu Sophie hinüber. “Werden Sie Titania, die Königin der Elfen, spielen?”
“Wenn ich dafür Zettel sein darf?”, fuhr Benedict Willoughby dazwischen und warf Sophie einen vielsagenden Blick zu. “Der verliebt sich nämlich in Titania.”
“Aber nur, weil der Elfe Droll einen Fehler begeht”, grinste Duncan. “Er ist ein ausgemachter Unruhestifter.”
“Dann bist du ja wie geschaffen für diese Rolle”, erklärte seine Schwester lachend. “Sir Percy hat bereits zugesagt, den Theseus zu übernehmen. Dann bleibt noch Oberon übrig. Mr. Drew, würden Sie so freundlich sein …?”
Der Gentleman nickte zustimmend und begann sogleich, das kleine Büchlein, welches er in den Händen hielt, durchzublättern, um herauszufinden, wie viel Text er auswendig zu lernen
Weitere Kostenlose Bücher