Lady Lavinias Liebestraum
“Ich wäre, wie ich gestehen muss, verloren, müsste ich auf Ihre werte Gesellschaft verzichten.”
“Mylord”, mahnte sie im Flüsterton, derweil sie hastig zu Tom hinüberschaute, der ihre Unterhaltung jedoch geflissentlich überhörte.
“Dies würde ich auch in einem gut gefüllten Ballsaal kundtun, Mylady, denn jeder soll wissen, wie ich für Sie empfinde und dass ich mich der Hoffnung hingebe, Sie erwidern meine Gefühle.”
Höchst verlegen starrte Lavinia auf ihre im Schoß ruhenden Hände. “Mylord, es ist noch viel zu früh für Bekenntnisse dieser Art.”
“Ihre Zurückhaltung ist äußerst löblich. Ich möchte Sie auch keineswegs zu einer Antwort drängen, Lady Lavinia. Mir ist es lediglich ein Anliegen, dass Sie meine Absichten kennen.”
“Wir wissen doch gar nichts voneinander. Ich habe zum Beispiel keine Vorstellung davon, was Sie mögen und was nicht”, entgegnete sie verunsichert.
Der Gentleman nahm die Zügel in eine Hand und berührte mit der andern sanft ihren Arm. “Ich bin davon überzeugt, dass wir einen ganz ähnlichen Geschmack haben.”
Sie lachte. “Wie können Sie da so sicher sein?”
“Ich werde es Ihnen beweisen”, sagte er entschlossen. “Sie ziehen das Leben auf dem Lande dem in der Stadt vor – genau wie ich. Aus diesem Grund bin ich all die Jahre nicht nach London gereist.”
“Warum kamen Sie dann diese Saison? Sicherlich nicht nur der Krönung wegen?”
“Nein, ich habe geschäftlich in London zu tun, was mein großes Glück ist, denn sonst hätte ich Sie niemals getroffen.”
“Vielen Dank, Sir”, erwiderte sie, wobei sie sich insgeheim fragte, was für ein Geschäft das sein mochte. “Welche Vorlieben haben wir denn noch gemein?”
“Nun, wir mögen Pferde, reiten gern und erfreuen uns an Kutschfahrten wie dieser. Ich schätze, der Phaeton des Earl of Corringham war nicht das erste Gefährt, das Sie gelenkt haben?”
“Nein. Auf unseren Ländereien pflege ich immer mit einem Zweispänner umherzufahren. Indes mag ich nicht nur Pferde, sondern auch alle möglichen anderen Tiere wie Katzen, Hunde, Vögel und Füchse. Ich könnte mich in niemanden verlieben, der auch nur einem dieser Geschöpfe ein Haar zu krümmen imstande wäre.”
“Dann gehen Sie niemals auf die Jagd?”
“Niemals, Mylord”, betonte sie mit fester Stimme. “Wenn ich die Wahl hätte, würde ich es schriftlich fixieren wollen, dass auch mein Gemahl sich nicht für derlei Grausamkeiten hergibt. Zum Glück würde Papa mich niemals zwingen, einen Mann zu heiraten, den ich nicht will.”
Er antwortete nicht, sondern fuhr mit seiner Aufzählung fort. “Ich mag die Literatur und die Malerei ebenso wie Sie. Zwar male ich nicht selbst, aber umso mehr schätze ich es, wenn jemand so talentiert ist wie Sie, Lady Lavinia.”
“Und was verabscheuen Sie am meisten, Sir?”
“Nun, zum Beispiel, wenn irgendjemand oder irgendetwas Sie verstimmen würde.”
“Haben Sie denn den Eindruck, ich sei leicht zu verstimmen?”
“Keineswegs. Sie haben ein solch bewundernswert sonniges Gemüt. Sie sind bei Weitem die hübscheste und bezauberndste junge Dame, die mir je begegnet ist. Hat Ihnen schon einmal jemand gesagt, dass Ihre Augen viel über Ihr Innerstes verraten? Sie könnten niemals etwas Falsches oder Unwahres zum Ausdruck bringen, selbst wenn Sie dies mit Worten versuchten – was Sie natürlich nie täten.”
“Himmel! Heißt das, Sie können meine Gedanken lesen?”
“Nein, das vermag ich leider nicht. Aber ich bin davon überzeugt, dass ich dazu in der Lage sein werde, wenn wir uns erst näher kennen. So sollte es doch sein zwischen Mann und Frau, denken Sie nicht?”
“Mylord, Sie gehen zu weit”, brachte sie atemlos hervor. “Ich muss Sie bitten, mich nicht so anzusehen und mehr auf den Weg und die Leute zu achten, denn sonst werden wir bald Tagesgespräch sein.”
Lavinias Bedenken waren nicht unbegründet, denn Lady Graham, die für ihre lockere Zunge bekannt war, und ihre Tochter Constance kreuzten wenige Augenblicke später ihren Weg – ebenso James in Begleitung Major Donald Greenaways, eines Freundes des Duke of Loscoe. Seit Kriegsende hatte der Mann, der einige Jahre älter war als James, sich vor allem als Privatdetektiv verdient gemacht. Aus diesem Grund hatte James ihn zu einem Ausritt eingeladen.
“Wer war der Gentleman an Lady Lavinias Seite?”
“Lord Edmund Wincote. Er hat ein Gut in Cumberland, soviel ich weiß.”
“Werden die beiden
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