Lady Lavinias Liebestraum
nicht, dass er mich vernachlässigt. Du kannst seinen Platz nicht ausfüllen, James.” Sie lächelte plötzlich. “Papa hat bereits Vorsorge getroffen bezüglich meiner Vermählung.”
James runzelte die Stirn. “Wovon sprichst du?”
“Er verkündete Lord Wincote, er sei erst nach zwei Ehejahren bereit, meine Mitgift auszuzahlen”, erklärte sie mit triumphierendem Blick zu dem Stiefbruder.
“Beim Zeus, hat er das?”
“Du siehst, du brauchst dir keine Sorgen um mich zu machen, James. Seine Lordschaft hat sich durch Papas Eröffnung nicht abschrecken lassen.”
James ging zu dem Tisch und nahm seinen Stock und die Handschuhe. “Dann brauchst du meine Fürsorge in der Tat nicht länger”, erwiderte er mit leiser Stimme, kehrte zu ihr zurück und führte ihre Hand zum Kuss an die Lippen. “Adieu, meine Teure”, sagte er noch, bevor er auf dem Absatz kehrtmachte und ihrem Blickfeld entschwand.
Lord Wincote wartete vor dem Haus auf ihn. “Auf ein Wort, Mylord.”
James konnte seine Gegenwart zwar kaum ertragen, doch mahnte er sich Lavinia zuliebe, seine Eifersucht zu unterdrücken, und setzte ein freundliches Gesicht auf. “Was kann ich für Sie tun, Wincote?”
“Mylord, ich kann sehr wohl verstehen, dass Sie Miss Lavinia beschützen wollen …”
“Das bezweifle ich doch sehr”, erwiderte er grimmig.
“Einem Mann mit genügend Feingefühl obliegt es durchaus, auf die jüngere Schwester achtzugeben – allerdings sind Sie nur ihr Stiefbruder …”
James schaute ihm fest ins Auge. “Genau genommen bin ich nicht einmal das.”
Wincote hielt seinem unverhohlen provozierenden Blick stand. “Nun, für Lady Lavinia sind Sie es, und deswegen sehe ich auch großzügig über Ihre Einmischung hinweg.”
“Mein Eingreifen war keineswegs ungerechtfertigt, denn immerhin waren Sie im Begriff, sich Lavinia unschicklich zu nähern!”
“Seine Gnaden gab mir die Erlaubnis, seiner Tochter einen Antrag zu machen. Daher kann ich in meinen Avancen nichts Verwerfliches erkennen.”
James sagte nichts mehr darauf, sondern verabschiedete sich mit einem kurzen Nicken. Der Mann, den vor Kurzem noch niemand kannte, hat es erstaunlich weit gebracht, ging es ihm durch den Kopf. Lavinia stand kurz davor, seinen Antrag anzunehmen und ihm zu einer gesellschaftlichen Stellung zu verhelfen, von der er nur hatte träumen können. Obendrein war er dadurch imstande, all seine Schulden zu begleichen. Denn es stand außer Frage, dass Wincote insgeheim hoffte, der Duke of Loscoe würde beizeiten seine Meinung ändern und die Mitgift in voller Höhe auszahlen – vor allem dann, wenn Lavinia unter ihren neuen Lebensumständen zu leiden hätte. Doch wie soll ich Wincote aufhalten?, fragte er sich. Ihn als Mitgiftjäger zu beschuldigen war eine Sache, ihm diese unehrenhafte Absicht zu beweisen eine andere.
Missmutig kehrte James bei White’s ein und ließ sich in einem Sessel am entlegenen Ende des Clubraumes nieder. Wie konnte er herausfinden, ob Wincotes Liebesbeteuerungen Lavinia gegenüber aufrichtig waren? Hatte er überhaupt ein Recht, dessen Absichten infrage zu stellen? Außerdem konnte er Lavinia nicht dazu zwingen, sich stattdessen in ihn, James, zu verlieben.
Major Greenaway, der sich wenig später zu ihm gesellte, vermochte seine Stimmung etwas aufzuhellen, wenngleich seine Sorge um Lavinia größer wurde. Der Major setzte ihn darüber in Kenntnis, dass laut einer glaubwürdigen Quelle Lord Wincote in Verhandlung stehe mit Brougham, dem Berater der Königin. Er wolle das Testament des Großvaters, welches intime Details über Lady Jersey und König George enthalte, zu barem Geld machen und auf diese Weise seine Schulden begleichen. Daraufhin kam James unweigerlich der Gedanke, Wincote könnte den Duke of Loscoe nach der Vermählung mit Lavinia um größere Summen erpressen wollen, indem er damit drohte, sich in aller Öffentlichkeit als Anhänger der Königin zu offenbaren und so dem Ruf seines Schwiegervaters zu schaden.
Nachdem Greenaway den Freund zu Besonnenheit und Ruhe gemahnt und ihm geraten hatte, erst einmal abzuwarten, berichtete er ihm die Neuigkeiten bezüglich des Diamantenraubes in Graham House. Er hatte herausgefunden, dass die Juwelen, welche der Dieb oder sein Komplize unerkannt in einem Laden in der Oxfordstreet zum Kauf angeboten hatte, gut gemachte Kopien waren, die der als verschuldet geltende Lord Graham, natürlich ohne das Wissen der Gemahlin, hatte anfertigen lassen. Daher sei der
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