Lady Lavinias Liebestraum
ich mich wohl gründlich in dir geirrt.”
“James, hör endlich auf, Lavinia aufzuziehen”, fuhr die Duchess of Loscoe ungeduldig dazwischen. “Lavinia, es ist Zeit, dass wir nach Hause fahren. Du erwartest am Nachmittag Gäste, und es bedarf noch einiger Vorbereitungen.”
“Wen denn?”, flüsterte James der Stiefschwester ins Ohr. “Mama wird doch nicht etwa Wincote gemeint haben?”
Lavinia konnte nicht umhin, herzhaft zu lachen, als sie James’ bestürzte Miene sah. “Natürlich besucht mich Lord Wincote heute. Hast du etwas dagegen einzuwenden?”
“Überhaupt nichts”, erwiderte er aufgesetzt gelassen. “Du solltest der Schicklichkeit wegen nur vorsichtiger sein.”
“Oh, das werde ich gewiss. Allerdings wüsste ich nicht, was es dich anginge.”
“Ich bitte vielmals um Verzeihung”, brachte er verletzt hervor.
“Ich nehme deine Entschuldigung gern an”, sagte sie mit gnädiger Miene, die jedoch sofort spitzbübisch wurde. “Ich möchte nämlich hinzufügen, dass auch du eingeladen bist. Hast du etwa unsere Probe heute Nachmittag vergessen?”
Er lachte. “Frechdachs. Ich hätte bestimmt zur rechten Zeit noch daran gedacht.”
Sie verabschiedeten sich und begaben sich gemeinsam aus dem Haus zu den Kutschen, wo sich ihre Wege trennten. Während der Heimfahrt überlegte Lavinia, welche Vorkehrungen sie noch zu treffen hatte. Sie nahm sich vor, mit Freddie und den anderen Kindern zu Mittag zu essen und anschließend ihrem Bühnenbild den letzten Schliff zu geben.
Zu Lavinias großer Freude hatten sämtliche Freunde und Bekannten, die von ihr mit Rollen bedacht worden waren, ihr Wort gehalten und kamen am Nachmittag voller Tatendrang in den Ballsaal von Stanmore House. Noch größer war die Freude, als Sir Percy mit Lady Rattenshaw, die sich ebenfalls für das Theaterstück interessierte, den Raum betrat. Man war sofort einhellig der Meinung, nur sie könne die Helena übernehmen, zumal Constance den Wunsch geäußert hatte, lieber Titania, die Königin der Feen, spielen zu wollen, da sie dann nur kurze Auftritte zu bewältigen habe. Nach dieser Absprache begannen Lord Haverley als Egeus, Lavinia und Edmund als Hermia und Lysander und schließlich James als Demetrius ihren Text zu rezitieren.
“‘Du entwandest meiner Tochter Herz mit List, verkehrtest ihren kindlichen Gehorsam in eigensinn’gen Trotz’”, rief Lord Haverley mit Inbrunst Lord Wincote zu. Und so ging es eine Weile weiter, bis Hermia und Lysander übereinkamen, sich heimlich im Wald wiederzusehen, um dem erzürnten Vater zu entfliehen.
Lavinia war indessen so in ihr Spiel vertieft, dass sie sich der Blicke, die Edmund und James tauschten, nicht gewahr wurde. Die des einen waren vorwurfsvoll, die des anderen stolz und selbstzufrieden, weil er dank seiner Rolle Liebesschwüre mit Lavinia austauschen durfte. James war davon überzeugt, dass Wincote Lavinia irgendwie verhext hatte, da sie seinen Ausführungen so gebannt lauschte, ihm geradezu an den Lippen hing, als er verkündete: “‘Dort, Liebste, darf ich mich mit dir vermählen …’” Lavinia antwortete ihm, obgleich sie ihrer Rolle nur gerecht werden wollte, so überaus zärtlich, dass James sich geradezu verzehrte vor Eifersucht.
Als allerdings Lady Rattenshaw die Helena vorzulesen begann, vergaß er augenblicklich seinen Kummer. Denn sie hauchte ihrer Rolle so überaus kunstvoll und überzeugend Leben ein, dass alle Versammelten ihr gebannt zuhörten.
“Mylady, das war wundervoll”, rief Lavinia entzückt aus, als die Dame mit einem gnädigen Nicken schloss. “Es kann nicht anders sein – Sie haben doch zuvor bereits Theater gespielt?”
“Oh”, erwiderte Ihre Ladyschaft zögernd, setzte jedoch ein Lächeln auf. “Wir haben in Indien ein paar Stücke aufgeführt, natürlich im ganz privaten Kreis.”
“Sie müssen uns unbedingt behilflich sein, Ihr hohes Niveau zu erreichen, Mylady”, sagte James.
“Es wäre mir eine große Ehre, von Ihnen unterwiesen zu werden, Lady Rattenshaw”, fügte Edmund sichtlich angetan hinzu.
“Ich werde mich bemühen”, versprach Sir Percys Begleiterin in feierlichem Ton, derweil ein Diener Erfrischungen in den Saal brachte und die Amateurschauspieler sich um die Stühle, Sessel und kleinen Tische versammelten, die Lavinia zuvor hatte aufstellen lassen.
“Nun, Lady Lavinia?”
Ob der plötzlichen Ansprache erschrocken, hob Lavinia, die sich nochmals in ihren Text vertieft hatte, den Blick und schaute in die
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