Lady Lavinias Liebestraum
dunklen Augen Lord Wincotes.
“Es geht mir gut, Mylord, vielen Dank”, gab sie gedankenverloren zurück.
“Lady Lavinia, ich fragte nicht nach Ihrem Befinden.”
“Nein, Mylord? Liegt Ihnen denn meine Gesundheit etwa nicht am Herzen?”, fragte sie mit unschuldiger Miene.
“Mir ist nicht entgangen, dass Sie des Öfteren zu scherzen belieben, Lady Lavinia. Doch heute steht mir nicht der Sinn danach. Sie wissen auch, dass ich mich inniglich danach sehne, allein mit Ihnen zu sein.”
“Lord Wincote”, erklärte sie mit fester Stimme, obgleich sein intensiver Blick sie für einen kurzen Moment wieder aus der Fassung brachte. “Heute ist es denkbar ungünstig für eine ungestörte Unterredung. Ich kann schließlich meine Freunde nicht einfach fortschicken, damit Sie sich wohler fühlen. Außerdem hat mein Papa es mir untersagt, Sie ohne eine Anstandsdame zu empfangen.”
“Ich frage mich ernsthaft, warum Sie mir das antun. Stellen Sie meine Standhaftigkeit auf die Probe?”
“Wenn dies tatsächlich der Fall wäre, würde es Ihnen doch bestimmt nichts ausmachen, oder?”, erwiderte sie. In diesem Moment trat Miss Hastings mit ernster Miene herzu und nahm auf einem Stuhl neben ihnen Platz.
Wincote wandte sich ab und schlenderte zu Lady Rattenshaw. Auf Lavinias Frage, was ihr Mienenspiel zu bedeuten habe, gab die Gouvernante ihr zu verstehen, dass sie den Eindruck gewonnen habe, der junge Mann sei bestimmt zu keinen wahren romantischen Gefühlen fähig. Sein Blick, mit dem er Lavinia gemustert habe, während er zu ihr sprach, sei zu keiner Zeit zärtlich oder liebevoll gewesen.
“Das können Sie gar nicht so genau wissen!”, protestierte die junge Dame, die stets dazu neigte, jemanden in Schutz zu nehmen, der sich gerade nicht wehren konnte, so wie sie auch für ihren Bruder Duncan immer ein gutes Wort einzulegen wusste.
“Was kann unsere weise Miss Hastings nicht so genau wissen?”, fragte James, der sich ihnen näherte.
Lavinia hatte sich zwar längst gegen Lord Wincote entschieden, doch stieg wieder Trotz in ihr auf. “Im Gegensatz zu Miss Hastings finde ich, dass Lord Wincote ein überaus feinsinniger, zu romantischen Gefühlen fähiger Gentleman ist, der mich immer wieder mit überaus zärtlichen Blicken bedenkt, welche ich natürlich nur zu gern erwidere”, sprudelte es aus ihr heraus, ohne dass sie das Gesagte wirklich ernst meinte.
“Dann wirst du seinen Beteuerungen, er sei unsterblich in dich verliebt und wolle nur dich an seiner Seite haben, sicher Glauben schenken?”, fragte James aufgesetzt amüsiert und legte mit einer theatralischen Geste die Hand auf die Brust.
Lavinia stützte die Hände in die Hüften. “Warum auch nicht? Wenigstens stellt er mir keine überflüssigen Scherzfragen oder macht zweideutige Bemerkungen wie so mancher hier im Raum. Bei ihm weiß ich wenigstens, woran ich bin.”
James machte eine übertriebene Verbeugung. “Dann darf ich dir wohl gratulieren, Lavinia. Bitte entschuldige mich.”
Hilflos schaute sie ihm nach, als er sich umwandte und fortging. Sie wusste nur zu gut, dass sie ihn verletzt hatte, und wollte am liebsten zu ihm laufen, um ihm zu beteuern, dass sie geflunkert hatte und vielmehr verwirrt und verängstigt war ob ihrer jüngsten Erkenntnis, dass ihre Beziehung zu James sich zu verändern drohte.
Stattdessen erklärte sie die Erfrischungspause für beendet, und man ging wieder zu der Probe über. Lavinia blieb trotz ihrer merklich geschwundenen Aufmerksamkeit nicht verborgen, dass Lord Wincote sich nahezu bei jeder Kleinigkeit an Lady Rattenshaw wandte und sie um Rat fragte. Will er mich eifersüchtig machen?, fragte sie sich insgeheim, verwarf diesen Gedanken aber wieder, als er am Ende der Sitzung nicht etwa die Dame hinausgeleitete, sondern wartete, bis außer Lavinia niemand mehr im Saal war.
“Miss Lavinia, Sie können mir nicht bis zum Ende aller Tage aus dem Weg gehen”, begann er ohne Umschweife.
“Das ist nicht der Fall, Mylord. Ich bin nur sehr beschäftigt.”
“So sehr, dass Sie nicht einmal Zeit haben, meinen Antrag anzuhören?”
“Ihren Antrag”, wiederholte sie und schaute ihn mit großen Augen an, obgleich sie doch längst wusste, dass dies von Anfang an sein Anliegen gewesen war.
“Mir ist wohl klar, dass wir uns erst kurze Zeit kennen, doch was bedeutet dies schon? Mir scheint, wir sind uns schon seit einer Ewigkeit vertraut. Ich wusste vom ersten Augenblick an, dass ich Sie zur Frau wollte”, betonte er
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