Lady Lavinias Liebestraum
überstürzen und gleichzeitig so diplomatisch wie irgend möglich vorzugehen. “Ich fühle mich wahrlich sehr von Ihrem Antrag geschmeichelt und bin aufrichtig gerührt, und dennoch kann ich Ihnen noch keine Antwort geben, Mylord. Ich bin noch nicht so weit.”
“Wie lange soll ich noch warten?”, fragte er ungeduldig. “Wann werden Sie mich von den Qualen der Ungewissheit erlösen?”
“Nach unserem Theaterstück werde ich Ihnen meine Entscheidung mitteilen”, sagte sie ruhig, aber mit fester Stimme.
“Das sind ja noch ganze sechs Wochen!”, protestierte er düsteren Blicks und machte eine hilflose Geste. “Oh, wie können Sie nur so grausam sein!”
Nach einem Moment des Schweigens fügte er hinzu: “Es ist alles Corringhams Schuld. Wenn er sich nicht in unsere Angelegenheiten eingemischt hätte neulich Nachmittag, dann hätten Sie mich längst zum glücklichsten Mann in ganz England gemacht.”
Lavinia wich seinem Blick aus. “Nein, Mylord. Meine Antwort wäre dieselbe gewesen. Mein Zögern hat nichts mit dem Earl of Corringham zu tun, dessen können Sie gewiss sein.” Noch während sie sprach, suchten sie Gewissensbisse heim, denn natürlich hatte sie nicht die Wahrheit gesprochen. James hatte sehr wohl etwas mit ihrer Unentschlossenheit zu tun. In Gedanken war sie immer bei ihm, und wenn sie ihn brauchte, war er stets zur Stelle. Wie konnte sie nicht an James denken, wenn es um ihre Zukunft ging?
Als sie in den großen Salon zurückkehrten, beendete Lady Rattenshaw gerade ein Lied, welches sie in Begleitung von Sir Percy zum Besten gegeben hatte. Ermutigt durch den enthusiastischen Applaus, bat sie dann sogleich einen weiteren Duettpartner an den Flügel. Zu Lavinias größtem Erstaunen fühlte Lord Wincote sich durch den Aufruf angesprochen.
“Mylady, meine Singstimme gehört nicht zu den herausragenden, aber es wäre mir eine große Ehre und ein Vergnügen sondergleichen, mit Ihnen ein Duett zu wagen.”
Nach kurzer Überlegung stimmten sie ein Liebeslied an, und es zeigte sich sehr rasch, dass Lady Rattenshaws schauspielerisches Talent sich nicht auf das Theaterspielen beschränkte. Sie sang die Weise begleitet von so ausdrucksvoller Gestik und Mimik, dass man hätte schwören können, sie sei wirklich in ihren Partner verliebt und als gelte das Lied nur ihm – und Lord Wincote versuchte es ihr gleichzutun, als seien sie unter sich.
“Hat man Töne?”, fragte jemand hinter Lavinia. “Welch hübsches Paar sie doch abgeben.”
Lavinia brauchte sich nicht erst umzudrehen, um zu erfahren, wer zu ihr gesprochen hatte. James’ Stimme wie auch sein ironischer Unterton waren ihr zu vertraut. “Ja, ich hatte keine Ahnung, wie gut er singen kann”, wisperte sie.
“Wenn dies sein einziges Geheimnis war, brauchst du dir keine Sorgen zu machen”, erwiderte er. “Ist es übrigens an der Zeit, dass ich dir meine Glückwünsche ausspreche, Lavinia?”
“Nein. Ich habe Lord Wincote versprochen, ihm nach unserem Theaterstück Antwort zu geben.”
“Ich wette, er war enttäuscht”, sagte James trocken.
“Natürlich war er das, aber er trug es mit Fassung”, entgegnete Lavinia spitz, drehte sich zu dem Stiefbruder um und schaute ihn fragend an.
Er senkte den Blick. “Es freut mich, dies zu hören.”
Nachdem noch andere Paare, darunter Lord Haverley und Constance, gesungen hatten, war die Stimmung so heiter und zwanglos, dass Lord Wincote förmlich auftaute und nicht ohne Stolz zu erzählen begann, dass er die Kunst des Hypnotisierens beherrsche und somit noch zu einem weiteren Amüsement am heutigen Abend beitragen könne, indem er den geneigten Gästen eine kleine Kostprobe gebe.
“Ich lernte diese Fertigkeit von dem großen Doktor Mesmer höchstpersönlich”, erklärte er mit sonorer Stimme, die in jeden Winkel des Zimmers drang, während die Zuschauer ihm aufmerksam und gebannt lauschten. “Ich bin natürlich kein Arzt, vermag nicht zu heilen wie er, doch kann ich Sie dank Lady Rattenshaws Zustimmung mit einer kleinen und ungefährlichen, dafür umso kurzweiligeren Darbietung unterhalten.”
“Er versteht sich also darin, Menschen willenlos zu machen. Dich auch?”, flüsterte James Lavinia zu.
“Nein”, erwiderte sie leise und ergriff gespannt und aufgeregt seine Hand. James’ Nähe zu spüren gab ihr das Gefühl größter Sicherheit. “Schau nur.”
“Ich brauche Freiwillige”, fuhr Wincote mit gewichtiger und feierlicher Miene fort. “Ich versichere Ihnen, dass
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