Lady Marys romantisches Abenteuer
Morgen war schon in wenigen Stunden. Das ließ ihr keine Zeit mehr, John noch zu sehen.
„Ja, morgen“, wiederholte Miss Wood streng. „Als Erstes werde ich morgen früh Deborah kommen lassen, damit sie Ihre Sachen packt, und anordnen, dass man die Kutsche und die Pferde bereithält.“
„Was ist mit der Wache, die Lord John engagierte, damit sie mit uns reitet?“, fragte Diana betont unschuldig. „Er war so aufmerksam und dachte an unsere Sicherheit! Wir müssen das regeln, oder etwa nicht?“
Miss Wood dachte nach. „Wir werden von seiner Lordschaft nichts mehr annehmen. Ich spreche mit dem Gastwirt. Vielleicht kann er eine Begleitung für uns zusammenstellen. Noch ein letztes Wort, Lady Mary. Ich habe vor, Ihrem Vater zu schreiben und ihn von dieser Angelegenheit zu unterrichten. Denn ich möchte nicht, dass er durch gewöhnlichen Tratsch oder durch die Zeitungen davon erfährt.“
„Das möchte ich auch nicht, Miss Wood.“ Mary konnte sich nur zu gut vorstellen, wie die Reaktion ihres Vaters auf einen so skandalösen Abend aussehen würde. Er hatte sie gebeten, während ihrer Reise Diana aus Schwierigkeiten herauszuhalten, nicht selbst in ihnen zu schwelgen. Wenigstens konnte sie darauf zählen, dass ein Bericht von Miss Wood sie alle in möglichst günstigem Licht erscheinen ließe. Wenn sie ihre Stellung als Gouvernante in der Familie behalten wollte, musste sie Marys Verstoß wie einen unbedeutenden kleinen Fauxpas erscheinen lassen.
Miss Wood nickte noch einmal, als wäre damit alles geregelt. „Dann wünsche ich Ihnen beide eine gute Nacht. Stellen Sie sich darauf ein, früh aufzustehen, denn wir werden viel zu tun haben.“
Kaum war die Schlafzimmertür hinter ihr ins Schloss gefallen, hatte Diana Mary auch schon am Arm gepackt. „Erzähl mir alles, Mary! Hast du ihm gesagt, dass du ihn liebst, wie du es tun wolltest? Mary, ich möchte alles wissen!“
Mary holte tief Luft. „Ja, ich sagte es ihm. Und er sagte mir, dass er mich auch liebt.“
„Ich wusste es, ich wusste es!“, krähte Diana vergnügt.
„Und dann bat er mich, ihn zu heiraten.“
Diana quietschte so laut auf, dass Mary ihr rasch die Hand auf den Mund legte. „Still, oder Miss Wood kommt zurück und schaut nach, ob man dich gerade ermordet!“
Diana schob Marys Hand fort. „Hast du den Antrag angenommen?“
„Ich hatte gar keine Gelegenheit mehr, etwas zu sagen, als dieser entsetzliche Monsieur Turgeon uns auch schon unterbrach.“ Mary zog die kleine Schachtel unter dem Kissen hervor und öffnete sie, damit ihre Schwester den Ring sehen konnte. „Hier ist der Verlobungsring.“
Diana machte große Augen. „Oh, der ist sehr schön, Mary. Bei einem Stein wie diesem hat Lord John ungeheuer ernste Absichten. Aber warum ist er nicht an deinem Finger?“
„Ich sagte dir doch, dass ich keine Gelegenheit hatte, ja zu sagen. John stellte die Schachtel auf die Sonnenuhr. Und als dieser ganze Trubel um uns herum begann, steckte ich sie ein, um sie in Sicherheit zu bringen, damit sie nicht verloren ging oder gestohlen wurde.“
„Du hast seinen Antrag nicht angenommen, aber den Ring trotzdem eingesteckt?“, fragte Diana und klatschte in die Hände. „Ach Mary, dann gibt es für dich ja doch noch Hoffnung!“
„Was ich mir wünsche, ist, dass es für mich und John Hoffnung gibt.“ Mary rutschte vom Bett und zog ein Kleid aus dem Schrank.
„Wo gehst du hin?“, wollte Diana wissen. „Du gehst zu John, nicht wahr?“
„Natürlich“, sagte Mary und schlüpfte aus ihrem Nachthemd. „Ich werde nicht hier sitzen und darauf warten, dass Miss Wood mich morgen früh davonträgt. Seine Unterkunft ist nicht weit von hier in der Rue St. Pierre. Komm, mach dich mal nützlich und schnür mir das Korsett.“
„Er muss dir später bloß wieder aufschnüren“, meinte Diana und eilte bereitwillig zu Mary. „Wirst du mit ihm durchbrennen?“
„Durchbrennen?“ Das Wort hing zwischen ihnen in der Luft. „Ich weiß es nicht. Ich habe noch nicht darüber nachgedacht.“
„Nun, das solltest du aber“, meinte Diana. „Wenn er dich früh am Abend hat heiraten wollen, dann wird er es ein paar Stunden später immer noch wollen. Wenn du jetzt zu ihm gehst, um diese Zeit, dann bist du wirklich so gut wie ruiniert, wenn jemand davon erfährt. Das weißt du doch, nicht wahr?“
„Ja“, entgegnete Mary langsam. „Aber hauptsächlich möchte ich mich bei ihm entschuldigen, weil ich so plötzlich davongelaufen bin. Und dann
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