Lady Marys romantisches Abenteuer
Fliesen abgetreten und gesprungen. Doch als der Boden noch neu war, heißt es, war der weiße Stein rot vom Blut der Pilger. So viele kamen hierher, um auf Knien rutschend ihren Glauben zu bezeugen.“
„Ein rechtschaffener Unsinn, wenn du mich fragst“, flüsterte Diana hinter ihrem Fächer. „Mir ist schleierhaft, wie du diese grausamen alten Geschichten interessant finden kannst, Mary.“
„Sei still, Diana!“, gab Mary wütend genauso leise zurück. Sie bezweifelte, dass der alte Mönch Diana hören konnte, da sie und ihre Schwester einige Schritte hinter John und Miss Wood gingen, aber sie war heute nicht in der Stimmung für Dianas leichtfertige Reden. „Auch wenn du nicht den Glauben anderer teilst, so kannst du ihn doch respektieren.“
„Sieh mal, Mary, da ist eine Kanzel“, meinte Diana. „Warum kletterst du nicht hinauf? Von oben kannst du besser predigen.“
„Hör auf, Diana“, fauchte Mary. „Selbst du müsstest in der Lage sein, irgendwo um dich herum Schönheit zu erkennen. Die geschnitzte Täfelung hier oder das Mauerwerk und die Farben des Fensterglases.“
„Oder Seine Lordschaft, unser stellvertretender Fremdenführer.“ Diana kniff die Augen zusammen und taxierte John, als sähe sie ihn zum ersten Mal. „Eine hübsche Sehenswürdigkeit, nicht wahr?“
Mary seufzte. Er war ein hübscher Anblick, es hatte wenig Sinn, das zu leugnen. Außer dem dunklen steifen Hut trug er braune Kniehosen und einen cremeweißen Leinenrock, der Wärme wegen ohne Weste. Das Hemd stand am Hals nachlässig offen, und statt einer Halsbinde hatte er sich unter dem Kragen lose ein Halstuch umgelegt. Die Nonchalance seiner Kleidung diente nur dazu, die breiten Schultern, den schlanken Körper und ganz besonders das natürliche Selbstvertrauen zu betonen, das er wie eine zweite Garderobe trug.
Seitdem er in dem Gasthof nahe Abbeville die Rolle ihres Fremdenführers übernommen hatte, war er ein Vorbild an Anstand und äußerster Freundlichkeit. Er sprach sie wieder mit Lady Mary an, so, als hätte es ihren Kuss nie gegeben. Mit einem höflichen Lächeln war er neben der Kutsche hergeritten, nicht weit von der berittenen Eskorte entfernt, und hatte sorgfältig jede unpassende Unterhaltung vermieden. Er hatte auch so viel zu erzählen wie irgendein angeheuerter Fremdenführer, war voller amüsanter Geschichten über die Landschaft, die sie gerade durchfuhren. Miss Wood konnte gar nicht laut genug sein Loblied singen. Und wenn man bedachte, dass er sie mehr beachtete als Mary oder Diana, so hatte sie allen Grund, erfreut zu sein.
„Meinst du, er hat etwas für Miss Wood übrig?“ fragte Diana lässig. „Vielleicht hat er eine Schwäche für Gouvernanten.“
„Wie soll ich wissen, was er mag, Diana?“, fragte Mary etwas trauriger als wohl beabsichtigt. „Es ist nicht so, dass er es mir gesagt hätte.“
Diana warf ihr einen neugierigen Blick zu. „In Abbeville nahm ich an, dass er eher dich mochte und du ihn. Aber seitdem sprecht ihr beiden ja kaum noch miteinander. Und das ist wohl kaum ein Weg, einem zu zeigen, dass man ihn mag.“
Sie gingen gerade an einer Gruppe betender Französinnen vorbei, und so konnte Mary noch einen Augenblick lang nachdenken, bevor sie antwortete.
„Ich weiß nicht, welche Gefühle Lord John mir gegenüber hegt“, sagte sie vorsichtig. „In Calais habe ich seine Begleitung genossen, das will ich nicht leugnen. Wir sprachen über Kunst.“
„Kunst, soso“, spottete Diana. „Das ist es eigentlich nicht, worüber Männer sich mit Frauen unterhalten.“
„Mit ihm war es aber so“, beharrte Mary, auch wenn sie selbst so ihre Zweifel hatte. „Allerdings verstehe ich nicht, warum er sich uns angeschlossen hat und darauf bestand, diesen Wachtrupp für uns zu engagieren.“
Diana nickte. „Das habe ich mich auch gefragt. Es muss zu unserem Besten sein. Etwas anderes kann ich mir nicht vorstellen.“
Erneut musste Mary an das Gemälde denken. Weder sie noch John hatten es wieder erwähnt. Aber sie machte sich immer noch die Mühe, es an den verschiedensten Plätzen zwischen ihren Sachen und in ihren Unterkünften zu verstecken. Sie fragte sich nur, vor wem genau sie es eigentlich verbarg.
„Er wird wegen Miss Wood bei uns sein“, sagte Mary bedrückt. „Sie ist bei weitem nicht so eigensinnig wie ich. Bestimmt ist sie mit allem einverstanden, was er sagt, so, wie sie es auch bei Vater ist.“
„Du weißt mehr über Bilder, als sie je wissen wird“, meinte
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