Lady Marys romantisches Abenteuer
schmeicheln sich, Mylord “, erwiderte sie scharf. „Meine Schwester pflegt einen herzlichen Umgang mit Herren, das ist wahr, aber so benimmt sie sich immer, nicht nur speziell Ihnen gegenüber.“
„Aber wenn man bedenkt, wie sie …“
„Ganz besonders nicht Ihnen gegenüber, Mylord.“
Zu spät erkannte er seinen Fehler. Der Teufel sollte ihn holen, weil er so dumm gewesen war, der Frau in seinen Armen etwas über eine andere Frau zu erzählen – selbst wenn die beiden Schwestern waren.
„Es tut mir leid, wenn ich etwas Falsches gesagt habe, Mylady.“ Er war bereit, sich zu entschuldigen, wenn ihn das dorthin zurückbrachte, wo sie einige Augenblicke zuvor schon gewesen waren. „Ich wollte weder Sie noch Ihre Schwester beleidigen.“
„Mir tut es auch leid“, sagte sie und trat gerade so weit zurück, dass sie außerhalb seiner Reichweite war. „Ich kenne Sie kaum drei Tage, Mylord. Meine Schwester kenne ich seit ihrer Geburt, und ich will nicht, dass Sie schlecht über sie sprechen.“
Mit gerunzelter Stirn verschränkte er die Arme vor der Brust. Was er auch sagte, Marys Wohlwollen ihm gegenüber schwand dahin, und jedes seiner Worte wurde nun falsch verstanden. Er hatte sie gerettet, sie selbst und ihre Entschlossenheit gelobt, sie bewundert, sie geküsst. Was konnte diese Frau denn noch mehr verlangen?
Wie sie so vor ihm stand, zeichneten die Weidenzweige und das Mondlicht ein Gewirr von Schatten auf ihr Gesicht. Es war ihm unmöglich, ihre Miene zu deuten. So, wie die Sache stand, sollte er sich jetzt wohl besser davonmachen. Jedenfalls kam es nun für ihn nicht mehr in Frage, sie bis Paris zu begleiten. Er konnte noch rechtzeitig nach Calais zurückkehren, um am Wochenende den Postdampfer nach Dover zu erreichen. Er würde die Verluste abschreiben, sich Mary aus dem Kopf schlagen und stattdessen Ausschau halten nach irgendeiner amüsanten neuen Dame, die das Schicksal ihm vielleicht über den Weg laufen lassen würde.
Er würde jetzt aufbrechen.
„Sie müssten es wissen, wenn ich je schlecht über Ihre Schwester sprechen würde“, sagte er gereizt. „Sie müssten wissen …“
„Ich weiß, was ich weiß, Mylord“, erwiderte sie mit der gleichen Gereiztheit. „Und ich weiß, dass ich von Ihnen in Zukunft nichts mehr wissen will. Gute Nacht, Mylord, und Adieu.“
Sie schnappte sich das Gemälde von dem gekrümmten Ast, und bevor er sie noch aufhalten konnte, lief sie schon fort, die Böschung hinauf und zum Gasthof zurück.
Doch John wollte verdammt sein, wenn Marys unglücklicher Abschiedsgruß wirklich das letzte Wort zwischen ihnen gewesen sein sollte.
„Zeit zum Aufstehen, meine Damen!“ Miss Wood betrat ihr Zimmer, das Kammermädchen mit dem Frühstückstablett im Schlepptau. Mit raschen Bewegungen zog sie die Bettvorhänge zurück. Das Sonnenlicht war so hell, dass Mary und Diana zusammenzuckten und sich die Decke übers Gesicht zogen.
Miss Wood blieb ungerührt. „Nicht herumtrödeln, Schlafmützchen“, sagte sie mit ihrer gewohnten Fröhlichkeit. „Wenn wir Amiens erreichen wollen, müssen wir uns an unseren Plan halten. Lady Mary, ich denke, Sie freuen sich besonders darauf, weil Sie sich so sehr für die dortige Kathedrale interessieren.“
Doch obwohl die Kathedrale wirklich eine Sehenswürdigkeit war, die Mary auf dem Kontinent hatte besichtigen wollen, galten ihre ersten Gedanken an diesem Morgen nicht Rosettenfenstern und gemeißelten Strebepfeilern. Stattdessen dachte sie an letzte Nacht und all das, was sie und Lord John gesagt und getan hatten, und wie sie sich, zumindest am Ende, völlig zur Närrin gemacht hatte.
Ohne auf Miss Wood zu achten, verbarg sie bei der Erinnerung daran das Gesicht im Kissen und stöhnte laut auf. Was immer für einen Hauch von Abenteuer sie auch mit Lord John gehabt hatte, er war vorbei, vertrieben von ihrem dummen Zornesausbruch. Und weshalb dieser Zornesausbruch? Sie hatte Diana verteidigt, wie sie sie immer verteidigte, wenn jemand hinterhältige Bemerkungen über ihre Schwester machte. John stand es genauso wenig wie jedem anderen Mann zu, Diana zu verleumden.
Und doch war es etwas anderes. Es stimmte zwar, er urteilte leichtfertig über Diana, wie es eben auch andere Männer schon getan hatten. Erst später, als Mary über seine Worte nachgedacht hatte, war ihr klar geworden, dass er seltsamerweise eigentlich sie hatte verteidigen wollen. Vermutlich sollte es wohl eine besondere Art von Kompliment sein. Er sprach in
Weitere Kostenlose Bücher