Lady Marys romantisches Abenteuer
Diana. „Hundert Mal mehr. Wenn es das ist, worüber er plaudern will, dann sollte er es mit dir tun.“
„Er wird tun, was ihm gefällt“, entgegnete Mary traurig. „Das tun Männer immer. Jetzt ist es an mir, das auch zu tun.“
„Noch nicht ganz.“ Ihre Schwester ordnete mit kritischem Blick Marys Haare, die unter dem Hutrand hervorlugten, drehte einige lose Löckchen so, dass sie hübsch ihr Gesicht umrahmten. Dann faltete Diana ihren Fächer zusammen, und bevor Mary sie noch aufhalten konnte, gesellte sie sich zu John, Miss Wood und ihren Führer.
„Sagen Sie mir, Miss Wood“, begann sie, „wie lange müssen wir noch durch diese düstere Kirche laufen?“
Miss Wood runzelte die Stirn. „Wir haben mit der Besichtigung der Kathedrale doch erst begonnen, Mylady. Vater Simon erklärte gerade, dass die Kathedrale erbaut wurde, um das abgeschlagene Haupt Johannes des Täufers zu beherbergen, das von den Kreuzrittern hierher gebracht wurde. Sie erinnern sich doch an die Kreuzfahrer, die wir in unseren Unterrichtsstunden durchgenommen haben, nicht wahr, Mylady?“
„Der Kopf des Heiligen Johannes?“, fragte Diana entsetzt und fasziniert zugleich. „Sein Kopf ist hier?“
„Ja, Mylady. Die französischen Katholiken halten ihn für eine der heiligsten Reliquien überhaupt“, sagte Miss Wood mit einer für sie ganz untypischen Begeisterung. „Vater Simon erzählte, dass er in einem besonderen Reliquienkästchen in einem sehr guten Zustand erhalten ist.“
„Aha.“ Diana zog ihr Taschentuch aus dem Ärmel, ihre Augenlider flatterten und sie betupfte zart ihre Schläfen. „Miss Wood, ich würde mich gerne setzen. Ich … ich fühle mich nicht ganz wohl.“
Sofort nahm Mary ihre Schwester beim Arm. „Gehen Sie voraus, Miss Wood. Ich werde mich zu ihr setzen.“
Noch während sie schwankend bei Mary Halt suchte, bohrte Diana verstohlen ihren Daumen in Marys Hand, um ihr klarzumachen, dass sie das ganz und gar nicht wollte.
„Ich möchte, dass Sie bei mir bleiben, Miss Wood“, hauchte sie schwach. „Sie sind mein … mein Trost, und ich weiß doch, dass Mary gerne das … das Haupt des Heiligen sehen möchte.“
„Wie Sie wünschen, Mylady“, sagte Miss Wood und eilte geschäftig herbei, um Diana den Arm um die Taille zu legen und Mary von ihrem Gewicht zu befreien. „Sie hätten es mir zuvor sagen sollen, dass Sie sich krank fühlen.“
Der alte Mönch beobachtete das Geschehen mit unbewegtem Gesicht. „Die Kathedrale besitzt einen Raum, in dem Besucher sich ausruhen können. Es gibt dort leichte Erfrischungen“, meinte er. „Wäre es den Damen genehm, sich dorthin zurückzuziehen?“
„Das wäre sehr freundlich“, sagte Miss Wood. „Wenn Sie uns den Weg zeigen würden.“
Der Mönch verbeugte sich und hielt die Hand auf. John seufzte ergeben und drückte ihm einige Münzen in die Hand. Der Mönch verbeugte sich erneut und wandte sich von ihm ab, um die Damen zu führen. Mary wollte Miss Wood folgen, doch Diana wies sie zurück.
„Du bleibst bei Seiner Lordschaft, Mary“, drängte sie mit schwacher Stimme. „Ich möchte dir nicht deine … Freude an den hübschen Sehenswürdigkeiten verderben.“
Endlich wurde Mary klar, was Diana da für sie tat. Der letzte Kommentar über die „hübschen Sehenswürdigkeiten“ ließ keine Zweifel mehr zu. Eigentlich sollte sie dankbar sein. Diana meinte es gut, sie wollte ihr einen Gefallen tun. Doch tatsächlich befürchtete Mary, dass sich die Stimmung zwischen ihr und John nur noch weiter verschlechtern würde.
„Da Lady Diana sich nicht wohlfühlt, sollten wir vielleicht alle zum Gasthof zurückkehren“, schlug John mit ernstem Gesicht vor. „Die Kathedrale steht hier schon seit fünfhundert Jahren. Ich wette, sie wird uns auch morgen noch zur Verfügung stehen.“
„Nein, nein, Mylord, das ist nicht nötig“, beteuerte Miss Wood. „Ich weiß, Lady Mary möchte Notre Dame so gerne besichtigen. Ich vertraue sie Ihrer Obhut an. Sie können dann zum Gasthof zurückkehren, wann immer es Ihnen gefällt, und Lady Diana und ich werden das Gleiche tun.“
Mit diesen Worten wandte sie sich ab und folgte mit Diana dem Mönch in das halbdunkle Seitenschiff.
Und ließ Mary allein mit John zurück.
Entschlossen räusperte sie sich. Das Beste war sicher, sich zu benehmen, als wäre nichts zwischen ihnen geschehen, weder Gutes noch Böses.
„Nun, Mylord“, meinte sie heiter – ein wenig zu heiter. „Da sind wir nun. Was möchten Sie
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