Lady Marys romantisches Abenteuer
ihn überzeugen. Männer können so kompliziert sein.“
„Ja, Miss Wood“, stimmte Mary ihr zu, obwohl sie bezweifelte, dass die Gouvernante eine Vorstellung davon hatte, wie kompliziert John sein konnte. „Ich glaube, ich ziehe mich für die Nacht zurück.“
„Natürlich, natürlich“, sagte Miss Wood. „Ich komme auch bald. Ist Lady Diana bei Ihnen?“
„Im Augenblick nicht, nein“, erwiderte Mary vorsichtig. Was ihre Schwester betraf, so befürchtete sie immer sofort das Schlimmste. Bis jetzt hatte sich Diana auf der Reise gut benommen, hatte sich mit ein wenig Augenzwinkern und Lächeln zufriedengegeben. Und sich sehr über den Mangel an galanten Männern hier in Frankreich beklagt. „Aber Diana sah vorhin so erschöpft aus, dass sie wahrscheinlich schon hinaufgegangen ist.“
„Es war für uns alle ein langer Tag, Mylady.“ Miss Wood unterdrückte diskret ein Gähnen. „Wir sollten dafür sorgen, morgen gut ausgeruht zu sein. Wir wollen doch frisch und munter vor Seiner Hoheit erscheinen.“
„Dann Gute Nacht, Miss Wood“, entgegnete Mary und gähnte nun selbst demonstrativ. Diana war noch nie in ihrem Leben so früh ins Bett gegangen. Etwas, das Miss Wood dieses Mal glücklicherweise vergessen zu haben schien. „Schlafen Sie gut.“
„Ich wünsche Ihnen das Gleiche, Mylady“, sagte Miss Wood. „Wir sehen uns morgen früh beim Frühstück.“
Mary nickte und ging in Richtung Treppe. Sie trödelte ein wenig herum, um sicherzugehen, dass Miss Wood zu ihrer neuen Freundin zurückgekehrt war. Dann schlich sie sich rasch durch den Gang, um von draußen in den Schankraum zu sehen. Suchend ließ sie den Blick über die Dreispitze und die Wolken von Pfeifenrauch gleiten, um sich zu vergewissern, dass sich ihre Schwester nicht unter den meist männlichen und meist älteren Gästen befand. Es war nicht sehr wahrscheinlich; gewöhnlich stellte Diana sich nicht gerne öffentlich vor vielen Männern zur Schau. Aber das hier war Frankreich. Alles war anders, vielleicht sogar ihre Schwester.
Doch die einzige Frau, die Mary sehen konnte, schien ziemlich verlebt und billig zu sein. Mit einem Seufzer, in dem sich Ärger und Erleichterung zugleich ausdrückten, trat sie aus der offen stehenden Vordertür des Gasthofes.
„Soll ich Ihnen eine Kutsche rufen, Mylady?“, fragte der Portier und glitt augenblicklich von seinem hohen Hocker neben der Eingangstreppe. Er verbeugte sich tief. „Oder wollen Sie lieber eine Sänfte?“
„Nein, nein, danke“, sagte Mary und verschränkte die Arme vor der Brust, während sie einen Schritt zurücktrat. Was tat sie eigentlich hier in dieser fast menschenleeren Straße? Nach Anbruch der Dunkelheit hatte eine Dame ohne Begleitung auf der Straße nichts mehr zu suchen. Das hier war nicht Aston Hall, das hier war noch nicht einmal England. Zu Hause wären Mary alle Orte bekannt gewesen, an denen sie Diana und ihre Liebhaber am wahrscheinlichsten hätte finden können, ob es der Heuboden über den Ställen oder der Pavillon nahe dem Teich gewesen wäre oder, wie am häufigsten, eine Bank in den Gärten.
Doch wo sollte sie hier in Chantilly die Jagd beginnen? Sie sah zu den Zimmern hinauf, die sie mit Diana teilte, und hoffte wider besseres Wissen, dass die Kerzen brannten und Diana wirklich dabei wäre, sich fürs Bett vorzubereiten. Doch die Fenster waren dunkel, wie sie es befürchtet hatte. Marys Verzweiflung wuchs.
Vielleicht würde sie schließlich zu Miss Wood gehen und ihr mitteilen müssen, dass Diana vermisst wurde. Hier im Ausland und unter Fremden konnte ihre Schwester in echte Gefahr geraten sein. Sie würden die Wache, oder was immer es hier in Frankreich war, rufen müssen, um sie zu suchen. Natürlich gäbe es einen Skandal, und wenn Vater davon erführe, wäre ihre Reise vorbei, noch bevor sie richtig begonnen hatte.
Aber welche Wahl hatte sie denn?
Zwei Soldaten in schäbigen Uniformen schwankten die Straße entlang. Einer musste den anderen stützen.
„Ah, ma chérie “, sagte der eine und stierte sie lüstern an. Sein Atem stank nach billigem Wein. „ Vous êtes belle. Très, très bel le. “
„Verschwinden Sie!“, rief sie beunruhigt und ging so schnell sie konnte in die entgegengesetzte Richtung weiter. Über die Schulter sah sie zu dem Portier vor dem Montmorency hinüber, aber jetzt war sein hoher Hocker leer.
„ Anglaise , eh?“ Der Mann stieß seinem Kumpan in die Rippen und schwankte auf Mary zu. „ Anglaise !“
Der Mann
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