Lady meines Herzens
war rasch zur beliebtesten, gefürchtetsten und am häufigsten zitierten Kolumne in London aufgestiegen. Julianna schrieb unter dem Pseudonym »eine Lady mit Klasse«, und über die wahre Autorschaft wurde seither ständig laut spekuliert, ohne dass ein Gerücht je bestätigt oder verleugnet wurde. Wie Sophie hatte auch Julianna ihre Karriere begonnen, weil sie Geld brauchte.
»Und wieso habe ich bisher nichts von ihm gehört?«, fragte Julianna.
»Es ist passiert, während du noch auf der Hochzeit warst«, antwortete Sophie. »Und ich wollte es euch allen erzählen, sobald wir wieder zusammensitzen.«
Sie verstummte kurz, weil der Schreiber Andrew Mulligan seinem Kollegen Mitch Radnor, der für die Kricketpartien und Pferderennen zuständig war, lautstark demonstrierte, wie ein Boxer den anderen außer Gefecht gesetzt hatte.
»Nun spann uns doch nicht so auf die Folter«, drängte Eliza.
»Sein Name ist Mr Brandon. Er ist atemberaubend attraktiv, einfach hinreißend und ein wahrer Gentleman.« Sophie seufzte erneut bei der Erinnerung an diese herrliche Begegnung.
Er hatte ihr Leben gerettet. Und dann hatte er sie von dieser tief empfundenen Einsamkeit befreit, die sie gequält hatte, seit sie von Matthew sitzen gelassen worden war. Allein das Wissen, dass es ihren Mr Brandon irgendwo da draußen gab, ließ sie die Welt in einem neuen, hoffnungsvollen Licht betrachten. Für sie war er ein guter Grund, um wieder an die Liebe zu glauben.
Ein Blick in seine Augen hatte genügt, und sie wusste es einfach: Er ist der Richtige. Sie hatte dieses Gefühl sofort beiseitegeschoben, denn wenn man ehrlich war, konnte doch niemand so schnell wissen, ob er einen anderen liebte. Oder?
Aber dann hatte er wieder etwas gesagt, eine kleine Bemerkung hatte genügt, und sie hatte oh ja gedacht. Oder er lachte über ihre Bemerkungen und erzählte ihr, er sei immer auf alles vorbereitet. Und sie durfte nicht vergessen, dass er sie vor dem sicheren Tod bewahrt hatte.
Er war ein Mann, dem eine Frau ihren Körper, ihre Seele und sogar ihr Herz anvertrauen konnte.
Und attraktiv war er außerdem. Himmel, sah er gut aus!
Sophie hatte die Begegnung seither Hunderte Male erneut durchlebt und jeden winzigen Moment in ihrer Erinnerung gespeichert.
Sie wusste, wie fest und muskulös seine Brust war und wie stark seine Arme. Sie wusste auch, dass sie sich nicht so rasch aus seiner Umklammerung befreit hatte, wie sie es hätte tun sollen.
Sie bewunderte still die zarten Linien in seinen Augenwinkeln, die strahlend grünen Augen und sein Lächeln. Sie war schrecklich versucht gewesen, sein dunkles, kurzes Haar zu zerzausen, weil es so akkurat und perfekt geschnitten war.
Selbst jetzt, da sie an ihn dachte, spürte sie eine rosige Hitze in ihre Wangen steigen. Wie schon an jenem Tag …
Sie hatten sich so entspannt miteinander unterhalten, als wären sie Seelenverwandte und keine Fremden.
Er ist der Richtige. Und sie wollte ihn haben.
»Wie habt ihr euch kennengelernt?«, fragte Annabelle. Ihre Kolumne »Liebe Annabelle« beantwortete die Fragen der Leser, die Rat und Hilfe brauchten. Annabelle war vermutlich die liebste und freundlichste Person, der man nur begegnen konnte. Sophie war schrecklich eifersüchtig auf ihr leicht gewelltes goldblondes Haar, das viel hübscher war als ihre eigenen dunklen ungebändigten Locken.
»Oh, er hat mich bloß davor bewahrt, von einer heranrasenden Kutsche überrollt zu werden«, sagte Sophie. Dann erzählte sie von ihren kleinen Wortgefechten, während er sie nach Hause begleitet hatte.
»Du hast einem Fremden gezeigt, wo du wohnst?« Dieses riskante Vorgehen machte Annabelle fassungslos. In London wurden solche Dinge tatsächlich anders gehandhabt. Wäre Sophie in Chesham mit einem fremden Mann spazieren gegangen, wäre vor allem ihr Ruf in Gefahr gewesen und nicht ihre Person.
»Ich weiß«, gab Sophie ihr recht. »Aber er wirkte so vertrauenerweckend. Und das war er auch! Er hat sich mir gegenüber keine Freiheiten herausgenommen.«
Sie wurden von dem lauten Lachen des Theaterkritikers Alistair Grey abgelenkt, der gerade eine von Randolph Winters Karikaturen begutachtete, in der König George IV., der frühere Prinzregent, und seine Exzesse auf die Schippe genommen wurden.
»Er hat dich also nach Hause gebracht«, erinnerte Eliza Sophie daran, die Geschichte zu Ende zu erzählen.
Sophie fasste die Ereignisse des Nachmittags rasch zusammen und schloss mit: »Aber er hat nichts davon gesagt,
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