Lady meines Herzens
genoss das kühle Prickeln. Sie fragte sich, wie es wohl sein mochte, mit ihm Walzer zu tanzen. Sie vermutete, dass es himmlisch war, doch sie erlaubte sich nicht, weiter darüber nachzudenken. Es schien ihr nur vernünftig, jeden romantischen Gedanken an ihn im Keim zu ersticken, wenn sie keine romantischen Gefühle für ihn aufkommen lassen wollte.
»Er ist so unglaublich attraktiv, das ist mir bisher nie aufgefallen«, sagte Julianna nachdenklich.
»Ich glaube, es sind seine Augen. Vielleicht auch sein Lachen. Sein Mund …« Sophie verstummte und schalt sich im Stillen, weil sie solche Gedanken hegte.
»Er ist so, wie ein Mann sein sollte. Groß und stark, ohne grob zu wirken. Wirklich Achtung gebietend«, sagte Julianna und beobachtete die Tanzenden weiter. Sein schwarzer Frack, die taubengraue Weste und die passende Hose waren maßgeschneidert und standen ihm gut. Bei seinem Anblick musste Sophie unwillkürlich an die Statuen der griechischen Götter denken, die im Britischen Museum ausgestellt waren.
»Und seine Augen«, Sophie seufzte. »Sie sind grün wie der Wald nach einem Gewitter.«
»Ach du meine Güte, dich hat es aber wirklich erwischt!«
»Ehrlich, ich gebe mir große Mühe, dass es nicht so ist«, sagte Sophie. Das war die Wahrheit. Der Duke war nicht derselbe Mann, dem sie nach dem Spaziergang verfallen war. Der Duke of Hamilton and Brandon war streng, reserviert und so gut wie verheiratet. Sie wünschte sich den Brandon zurück, den sie zuerst kennengelernt hatte – ein Mann, der gerne lachte, der freundlich und wohlerzogen war und kein bisschen verlobt. Aber beide Versionen dieses Mannes ließen ihren Herzschlag aussetzen, und ihr Kopf fühlte sich ein wenig schwummrig an, was aber nicht unangenehm war.
»Ist das der Grund, warum du die Einzige im Saal bist, die den beiden nicht beim Walzer zusieht?«, fragte Julianna. Einige Paare gesellten sich jetzt auf Drängen der Duchess zu den beiden. Aber insgesamt genügte es den meisten, dem perfekten Paar beim Walzertanzen zuzusehen.
»Wenn es doch bloß dieses Tonikum gegen unpassende Liebe gäbe!«, jammerte Sophie.
»Wenn es das gäbe, wäre es Scharlatanerie, und das wissen wir beide. Es enthielte kaum mehr als Zuckerwasser, das vielleicht helfen würde, wenn du es statt des Champagners trinkst, dem du gerade in rauen Mengen zusprichst«, bemerkte Julianna.
»Ich hatte nur ein Glas, und ich musste es nehmen, denn es wäre unhöflich gewesen, dem glücklichen Paar nicht zuzuprosten. Und wo wir schon dabei sind, ich muss unbedingt frische Luft schnappen.«
Auf ihrem Weg zur Terrasse wich Sophie geschickt einer Begegnung mit Lord Borwick aus, der als notorischer Lustmolch bekannt war. Sie geriet auch nicht in die Fänge von Lady Rawlings, die eine Person leicht in ein dreißigminütiges Gespräch verwickeln konnte. Julianna und sie nannten sie Lady Sperling, da sie unaufhörlich zwitscherte.
Sobald sie draußen war, zog Sophie den Schal enger um ihre Schultern, denn die Abendluft war erstaunlich frisch. Durch den Nebel drang genug Mondlicht, um den unter der Terrasse liegenden Garten schwach zu beleuchten. Sophie war nicht allein auf der Terrasse. Auch andere Gäste waren herausgekommen, und sie lauschte interessiert deren Gesprächen.
»Ach, er ist so ein Langweiler, ich habe schon gedacht, ich entkomme ihm nie!«, sagte eine Frau. Ihre Freundin kicherte.
»Zigarre?«, bot ein Mann einem anderen an.
»Wir können so glücklich sein, dass diese Verbindung geschlossen wurde«, sagte eine Frau. Die Stimme erkannte Sophie sofort: Sie gehörte der Duchess of Richmond.
»Ja, Lord Brandon ist ein guter Mann«, sagte ihr Begleiter. Sophie vermutete, es handelte sich um den Duke of Richmond. Sie riskierte einen Blick. Er hatte eine gedrungene Gestalt, buschig weißes Haar und war so groß wie seine Frau.
Die Duchess murmelte etwas, das wie »völlig ruiniert« klang, doch Sophie war nicht sicher, ob sie richtig hörte.
»Ich hätte meinen Zuchtstall verkaufen müssen«, sagte der Duke. Er klang verloren.
»Nun hör schon auf mit deinem blöden Stall, Reginald!«, zischte Lady Richmond. »Der hat uns doch erst in diese Schwierigkeiten gebracht.« Und dann fügte sie mit sanfter Stimme hinzu: »Ich habe mich so schrecklich gesorgt, als Miss Selby sich Lord Winchester geschnappt hat.«
»Aber es hat sich doch alles zum Guten gewendet, meine Liebe. Du wirst unsere Clarissa an einen Duke verheiraten, der Titel wird weitergegeben, und wir
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