Lady meines Herzens
durchlebte und zugleich bereute. In Gedanken begann er, eine Liste zu machen.
Dinge, an die er denken sollte, statt von Miss Harlow zu träumen
1. Seine perfekte Verlobte.
2. Seinen Gesetzesentwurf zur Steuerreform.
3. Die Misere der Kriegswitwen und -waisen.
4. Den neuesten Roman des Waverley-Autors (er hatte eine heimliche Schwäche für Abenteuergeschichte).
5. Sich für seinen Verlobungsball anzukleiden.
Er trug bereits die Hose und das Hemd und war von seinen unzüchtigen Gedanken so erhitzt, dass ihm der kalte Luftzug nicht auffiel, der in diesem alten Gemäuer ständig durch die Räume zog. Brandon nahm einen entsetzlichen Fetzen aus pinkfarbenem Satin hoch.
Neugierig wandte er sich an seinen Kammerdiener.
»Jennings, was ist das?«, fragte er und hielt das scheußliche Kleidungsstück möglichst weit von sich weg.
»Das ist eine Weste, Mylord.«
»Ja, das sehe ich. Wo kommt die her? Und sagen Sie jetzt nicht, die hätte ich mir selbst ausgesucht.«
Mit knallrotem Seidenfaden waren winzige Blumen auf die Weste aufgestickt. Wenn er sich dieses lächerliche Stück Stoff tatsächlich ausgesucht hatte, musste er zu dem Zeitpunkt ziemlich betrunken gewesen sein. Allerdings trank er niemals zu viel, da er schon seit Langem wusste, wie viel Alkohol er vertrug, ohne sich zum Narren zu machen oder am nächsten Morgen unter den Nachwirkungen zu leiden. Er hielt sich strikt an diese Erfahrungswerte.
»Die ältere Lady Richmond hat dieses Kleidungsstück geschickt, damit Sie es heute Abend tragen. Es passe gut zum Kleid der jungen Lady Richmond, ließ sie ausrichten«, erklärte Jennings.
»Wir müssen zusammenpassen?«, fragte Brandon ungläubig.
»Es scheint, als ob Lady Richmond der Meinung sei, dass Sie und Ihre Verlobte am heutigen Abend aufeinander abgestimmte Kleidung tragen sollten.«
»Ich werde jedenfalls nicht dieses abscheuliche Stück Stoff tragen«, erklärte Brandon rundheraus. Noch immer starrte er das Ding finster an. Pink? Er konnte unmöglich etwas Pinkfarbenes tragen. Erst recht nichts, was auch noch mit roten Blümchen bestickt war. Er wäre das Gespött Londons.
»Natürlich brauchen Sie nichts anzuziehen, was Sie nicht tragen wollen, Mylord. Es ist jedoch ratsam, Ihre zukünftige Gattin und deren Mutter nicht zu verärgern, wenn ich das aus eigener Erfahrung beitragen dürfte. Man tut gut daran, sich die Verwandtschaft der eigenen Frau nicht zum Feind zu machen. Das sind unbequeme Feinde, derer man sich nicht einfach entledigen kann.«
»Ich verstehe«, sagte Brandon. Auf Clarissas Eltern war er nicht vorbereitet gewesen. Ihre Mutter kannte jeden und ließ jeden wissen, dass sie jeden kannte. Und falls Clarissas Vater über etwas anderes als die Pferdezucht reden konnte, hatte Brandon das bisher noch nicht erlebt. Dennoch fand er, es hätte schlimmer kommen können.
»Aber sagen Sie mir Ihre ehrliche Meinung, Jennings. Ist das nicht das scheußlichste Kleidungsstück, das Sie je gesehen haben?«
»Es ist eine Beleidigung jeglichen guten Geschmacks, Mylord«, stimmte sein Diener ihm zu.
»Ich gebe Ihnen fünf Pfund, wenn dieses Ding da einen schrecklichen Unfall erleidet, der es mir unmöglich macht, es zu tragen«, verkündete Brandon und gab die Weste seinem Diener, der sie umgehend ins Feuer warf.
»Darf ich Ihnen stattdessen die graue Weste empfehlen, Mylord?«, frage er.
»Sie dürfen. Danke, Jennings.«
Im Ballsaal von Hamilton House
Einige Stunden später
Nun war es offiziell: Sie war die zukünftige Duchess of Hamilton and Brandon. Die Verlobung war verkündet worden, die Gäste hatten gejubelt und ihnen mit eisgekühltem Champagner zugeprostet. Nun tanzten die zukünftige Braut und der Bräutigam einen Walzer, beobachtet von Hunderten ihrer engsten Freunde und Bekannten.
Clarissa wünschte sich sehnlichst, irgendwo anders zu sein. Sie wäre ein richtiges Mauerblümchen, wenn ihre Mutter es nur zulassen würde.
»Genießen Sie den Abend?«, fragte ihr Verlobter.
»Sehr, vielen Dank. Sie auch?«, stellte Clarissa die Gegenfrage und folgte damit gleich zwei Regeln ihrer Mutter: dem Gentleman immer beipflichten und ihn immer fragen, was er denkt. Damit sollte sie erreichen, dass nicht über ihre eigenen Gedanken gesprochen wurde, die ihn langweilen könnten.
»Das tue ich, ja«, antwortete er und fügte hinzu: »Sie sehen heute Abend bezaubernd aus, Lady Clarissa.«
»Danke, Lord Brandon.« Sie sprach ihn nicht mit seinem Vornamen Henry an. Niemand schien ihn so
Weitere Kostenlose Bücher