Lady meines Herzens
Regale, in denen sich Ballen von Seide, Satin, Baumwolle, Kaschmir, Samt, Tüll, Köperstoff, Taft und Spitze stapelten und nur darauf warteten, zu dem aufregend schönen Kleid einer glücklichen Frau zu werden.
Spiegel reflektierten Sophies weit aufgerissene Augen, wohin sie auch schaute. Sie stand mitten im Raum und drehte sich um die eigene Achse.
Derweil erteilte Lady Richmond der armen Madame Auteuil völlig gegensätzliche Anweisungen, die jedoch geduldig nickend entgegengenommen wurden. Das Kleid sollte ganz schlicht sein, zugleich aber mit Volants, Spitze und Perlenstickerei verziert werden. Clarissa schlenderte zu Sophie, die sich in den Anblick eines ganz besonderen Kleids vertieft hatte.
»Das sieht hübsch aus«, flüsterte Clarissa ehrfürchtig. Sie traute sich sogar, mit einer Fingerspitze über den zarten Stoff zu fahren.
»Oh ja«, hauchte Sophie. Der Schnitt war einfach gehalten: eine hohe Taille mit kurzen, leicht gepufften Ärmeln und einem tiefen, gerundeten Ausschnitt. Glasklare Perlen waren auf die weiße Seide gestickt. Dieses Kleid würde bei jeder Bewegung schimmern und glitzern.
Es erinnerte Sophie an Mondlicht, das auf frisch gefallenem Schnee funkelte.
Sie hatte sich noch nie etwas mehr gewünscht als dieses Kleid.
»Clarissa, meine Liebe«, rief Lady Richmond. »Komm, wir müssen den Stoff für dein Kleid aussuchen.«
Ganz die geduldige Tochter stand Clarissa da, während verschiedene Stoffproben an ihre Wangen gehalten wurden, um zu entscheiden, welche Farbe ihrem Teint am meisten schmeichelte: ein eierschalenfarbener Taft oder ein milchweißer Satin? Eine Moiréstoff in zartem Schlüsselblumengelb oder silber-weiß changierende Seide?
Während Sophie zusah, wanderten ihre Gedanken von den Stoffproben zu den fertigen Brautkleidern. Sie dachte nicht mehr an Clarissa im Atelier der Schneiderin, sondern an Clarissa vor dem Altar. Jeder Gedanke war angenehmer als dieser.
Sophies Hochzeitskleid war wunderschön gewesen. Sechs Monate hatte sie damit zugebracht, es eigenhändig zu schneidern. Nur wenige Tage nach der katastrophalen Beinahe-Hochzeit hatte sie es verkauft. Der Erlös hatte es ihr ermöglicht, nach London zu ziehen.
Die Vorstellung von Clarissa vor dem Altar brachte sie unweigerlich zu der Vorstellung von Brandon, der neben Clarissa vor dem Altar stand. Sophies Miene verfinsterte sich. Obwohl sie alles tat, um nicht in Tagträume zu verfallen, passierte es inzwischen häufiger, als ihr lieb war. Sie dachte daran, wie er sie am Tag ihrer ersten Begegnung mit seinen hellgrünen Augen vergnügt angeblitzt hatte. Sie stellte sich vor, wie sie witzige Bemerkungen machte, die ihn zum Lachen brachten, weil sie es liebte, ihn lachen zu hören.
»Miss Harlow.« Die Duchess verlangte ihre Aufmerksamkeit und blickte Sophie forsch an. »Was tragen denn die anderen Bräute in dieser Saison?«
Oh ja, all die anderen Bräute, zu denen sie niemals gehören würde. Wenn sie ehrlich war, war sie eifersüchtig. Ihr abgrundtiefer Neid war den Liebesheiraten vorbehalten, aber auch schon beim Anblick eines Bräutigams, der die Zeremonie durchhielt, wurde sie grün um die Nase.
Abgesehen davon war ziemlich deutlich, dass sie heute nicht eingeladen war, um in der Zeitung darüber zu berichten oder wegen des Glanzes, den sie verströmte.
Die Duchess war anscheinend bestrebt, die Hochzeit des Jahres, wenn nicht die Hochzeit des Jahrzehnts auszurichten. Daher wollte sie wissen, was derzeit modern war, was schon wieder als altmodisch galt, mit welcher Extravaganz sie über das Ziel hinausschießen würde und wie die neuesten, frischsten Trends von morgen aussahen. Sophie wusste dies dank ihrer Position.
»Silber war in letzter Zeit sehr beliebt«, gab Sophie bereitwillig Auskunft. »Pastelltöne sind die klassische Wahl, daran hat sich nichts geändert. Weiß ist noch immer etwas völlig Neues und Aufregendes.«
»Madame, können Sie mir etwas über das Kleid sagen, das Miss Selby tragen wird?«
»Ich habe geschworen, kein Sterbenswörtchen zu verraten, Euer Gnaden. Aber «, fügte Madame Auteuil hinzu, und die Miene der Duchess hellte sich auf, »ich kann so viel verraten, dass es silbern mit weißen Akzenten sein wird.«
»Dann wird unser Kleid weiß mit silbernen Akzenten sein«, verkündete die Duchess, und Sophie machte sich eine entsprechende Notiz.
Erneut kam Clarissa zu Sophie herüber. Ihre Mutter war ganz in die Auswahl der Stoffe vertieft und bemerkte ihr Verschwinden
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