Lady Punk - Roman
noch vergrößern musste. Terry hatte das Gefühl, als ob die Großmutter sich bewusst nicht zu sehr mit ihr befassen wollte, vielleicht, weil sie dann zusammenbrechen würde. Lieschen sah so zierlich aus, so zerbrechlich, und Terry war schon eine Hand voll. So gab Lieschen in allem nach, was Terry von ihr verlangte. Terry genoss das, sicher. Nur manchmal dachte sie so etwas wie schade , und sie wusste nicht einmal, was sie genau meinte, es traf nur irgendwie die Situation, dieses schade .
Terry wollte die Großmutter also nicht sonderlich belasten, so sagte sie nur: »Oh, nichts Besonderes«, und Lieschen nickte zustimmend. Sie war zufrieden.
Die Großmutter rief nun die Kellnerin und bezahlte die Rechnung. Die Kellnerin freute sich über das Trinkgeld. Sie half Lieschen in die Kostümjacke. »Auf Wiedersehen, gnädige Frau«, sagte sie. »Und einen schönen Urlaub. Und dass Sie mir ja gesund wiederkommen.«
Lieschen lächelte leicht, ohne die Kellnerin anzusehen. »Danke, Fräulein Irma«, sagte sie. »Auf Wiedersehen.«
Terry begriff, dass Lieschen hier gut bekannt war, dass sie wahrscheinlich hier ihre Tage verbrachte, dass das Café so etwas wie ein zweites Zuhause war, oder soundsovieltes, denn sie waren ja irgendwie überall auf der Welt ein bisschen zu Hause. Überall und nirgends.
Terry und die Großmutter gingen nun durch das ganze Café zum Ausgang. Lieschen sah wie Terry über die Leute hinweg. Terry war auch ohne Schuhe viel größer als Lieschen und trotzdem sah die Großmutter jetzt stark und groß aus. Terry war stolz auf sie.
Draußen blies der Gewitterwind. Der Himmel war dunkel und beweglich geworden. Der Dunst hatte sich zu Wolken getürmt, die alle einem fernen Ziel zufegten. Noch war kein Tropfen gefallen.
Terry hatte gehofft, dass Lieschen mit ihr nach Hause gehen würde. Aber Lieschen sagte, sie müsse noch zur Bank und die nächsten Wochen regeln, die sie im Süden verbringen würden.
Terry sah das ein. Irgendwie hing ihr Leben ja auch von Lieschens Gängen zur Bank ab.
Lieschen forderte Terry nicht auf mitzukommen. Sie klopfte Terry leicht auf die Backe. Dann drehte sie sich um und ging den Weg zur Bank. Terry sah ihr nach. Und wieder kam es in ihren Kopf. Schade, dachte sie. Dann zuckte sie mit den Schultern und lief den Weg nach Hause, wieder eine Straße rechts, die nächste links.
Als sie die Straße erreicht hatte, in der sie wohnte, hatte der Wind sie arg zerzaust. Sie war müde. Ihre Füße schmerzten in den Gelenken und sie war durstig. Terry war froh, ihr Haus zu sehen, und schleppte sich langsam hin. Sie war jetzt sehr mürrisch geworden und fühlte sich gar nicht wie eine Queen oder wie eine eiserne Jungfrau , sondern verdammt noch mal wirklich wie fünfzehn.
Noch bevor Terry das Haus erreicht hatte, fielen die ersten Tropfen. Sie platschten auf den staubigen Gehweg und hinterließen kleine Atolle. Terrys Füße waren im Nu nass. Der Wind fegte ihr Haar hoch und in alle Richtungen, aber Terry lief nicht schneller, es war ein schönes Gefühl, so durchgepustet zu werden. Der Sturm schien durch Terry zu wehen, als wäre sie ein Sieb. Sie kühlte sich bis auf die Knochen ab und es war wie eine Art Säuberung.
Als sie die Eingangstür aufriss, war sie quatschnass. Sie lief die Marmortreppe hoch und ihre Füße verursachten nasse, schmutzige Spuren.
Der verrückte Herbert stand mitten in der Eingangshalle mit einem aufgespannten Schirm. Es war sinnlos, ihm seine Verrücktheit abzugewöhnen. Terry hatte es vor Jahren versucht, als er sie immer mit »Du Kind« angesprochen hatte. Er hatte nicht begriffen, dass sie auch einen Namen hatte. Von einem Tag zum anderen hatte er sie dann »Madam« gerufen. Es war um die Zeit gewesen, als sie ihre erste Periode bekommen hatte, und sie fand ihn nicht so total verrückt, alles hatte seine eigene Logik.
Als der verrückte Herbert Terry erkannte, bot er ihr an, sie unter seinen Schirm zu nehmen. Er geleitete Terry zum Fahrstuhl.
»Herbert, es regnet doch nicht«, sagte Terry.
»Nein«, sagte der verrückte Herbert, »der Mond scheint.«
Mondtage waren für den verrückten Herbert besonders schlimm, hatte Terry erfahren. Dann geisterte er schlaflos durch den Hintergarten und heulte den Mond an wie ein Bauernhund. Er war sonst okay. Lieschen hätte ihm ja auch nicht die Gartenpflege anvertraut, wenn er zu verrückt gewesen wäre. Frau Krosanke fürchtete sich vor ihm. »Wenn ich den schon sehe«, sagte sie. »Der gibt mir eine
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