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Lady Punk - Roman

Lady Punk - Roman

Titel: Lady Punk - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beltz & Gelberg
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blätterte darin herum, und es sah aus, als ob sie sich nicht sonderlich dafür interessierte.
    Die Kellnerin kam vorbei und wechselte ohne Lieschens Auftrag die Kaffeekanne. Lieschen sah kurz hoch und dankte ihr mit diesem verbindlichen Lächeln, das sie als äußerst nette Frau auszeichnete, zu der man aber eine gewisse Distanz halten musste. Lieschen war eine Dame.
    Lieschen schüttete sich Kaffee nach mit unendlich langsamen Bewegungen. Sie ließ einen Löffel Zucker in die Tasse rieseln und tröpfelte Milch nach. Dann rührte sie vorsichtig um. Terry war sich sicher, dass niemand dabei ein Geräusch hören würde.
    Lieschen trank einen winzigen Schluck, sah dabei kurz die Leute an, die vor ihr saßen, und schaute dann wieder in ihre Zeitung. Als sie die durchgeblättert hatte, sah sie auf ihre Uhr. Es schien noch Zeit zu sein, denn sie griff nach einer neuen Illustrierten.
    Es war merkwürdig, Lieschen hier sitzen zu sehen, als ob sie alle Zeit auf der Welt hatte. Jeden Mittag sagte Lieschen: »Ich muss jetzt aber los«, als ob sie einen Termin hätte, und verbrachte die Nachmittage außer Haus. Und jetzt saß sie hier, und es sah so unwichtig aus, das Kaffeetrinken, das Zeitunglesen, das Warten auf irgendwas.
    Terry beschloss hineinzugehen. So, wie das Café Kranzler aussah, würde es einen Aufstand geben, wenn Terry es betreten würde, aber solche Auftritte liebte Terry. Sie ging durch die Glastür und sie spürte gleich eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Maklerbüros und Berliner Cafés. Der Teppichboden war gleichermaßen weich und wohltuend für die Füße.
    Terry hatte ihren Auftritt. Sie merkte von Anfang an, dass man sie sah. Das Stimmengemurmel wurde schwächer und hob erst hinter ihr wieder an. Sie war sicher, dass man dann über sie sprach.
    In solchen Momenten war Terry froh über ihre Größe und Statur. Es war, als ob die Leute tief unter ihr saßen. Terry sah einfach über sie hinweg. Ein bisschen fühlte sie sich wieder wie Queen of American Heaven . Zu ihren Füßen ein ausgerollter Teppich.
    Einen Moment lang dachte Terry, dass sich möglicherweise auch ihre Mutter hier aufhalten könnte. Die würde dann gleich einen Schreikrampf bekommen. Der Gedanke amüsierte Terry so sehr, dass sie fast losprustete.
    Terry steuerte auf ihre Großmutter zu. Sie wollte Lieschen nicht erschrecken und hoffte, dass sie sich genug in der Gewalt hatte, um keinen Skandal zu machen.
    Von der Kuchentheke aus kam die Kellnerin, die Lieschen den Kaffee gebracht hatte, auf Terry zu. Der Gesichtsausdruck der Kellnerin war nicht mehr so demütig wie vorhin, als sie das Getränk servierte. Sie sah sehr entschieden aus.
    Sie erreichten beide gleichzeitig ihr Ziel. Terry die Großmutter und die Kellnerin Terry. Lieschen blickte auf. Terry erkannte an Lieschens Augen, dass sie sich freute, Terry zu sehen. Sie war überrascht, aber es gab diesen Funken Wärme in Lieschens Augen, auf den Terry immer wartete, den sie auch brauchte und ohne den sie das Leben total beschissen finden würde.
    Lieschen hatte sich in der Gewalt. Sie machte eine Handbewegung auf einen leeren Stuhl an ihrem Tisch. Terry setzte sich, und noch bevor die Kellnerin etwas sagen konnte, stellte Lieschen Terry vor. »Meine Enkelin«, sagte sie, und es hörte sich an, als ob sie stolz darauf wäre.
    Die Kellnerin bekam diesen demütigen Ausdruck im Gesicht. »Wie nett«, sagte sie. »Ganz reizend, gnädige Frau.«
    »Bitte, Fräulein Irma, bringen Sie meiner Enkeltochter ein Stück Obsttorte mit viel Sahne«, sagte Lieschen.
    »Aber gern«, sagte die Kellnerin.
    Das Stimmengemurmel im Café hatte seine ursprüngliche Lautstärke wieder erreicht. Die Großmutter hatte das geschafft. Terry hatte sie nicht aus dem Konzept gebracht. Lieschen hatte Haltung gezeigt. Sie war ein Mensch, der schon damit geboren sein musste.
    Terry aß ihren gemischten Obstkuchen mit viel Sahne. Manchmal wunderte sie sich selber, wo sie all das Essen ließ.
    »Was hast du heute Nachmittag so gemacht?«, fragte Lieschen. Sie blickte Terry kurz an und dann über die Leute. Terry hatte das Gefühl, dass Lieschen gar nicht wissen wollte, was Terry so getrieben hatte. Lieschen sprach mit ihr wie mit allen Leuten, bei denen sie nicht vermeiden konnte, mit ihnen zu reden. Lieschen machte Konversation, aber es ging ihr nichts unter die Haut. Sie benahm sich so, als ob das ganze Leben ein großes Unglück war, aus dem man aber das Beste machen musste. Auch Terry war ein Unglück, das man nicht

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