Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ladylike

Ladylike

Titel: Ladylike Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
Vom Netzwerk:
ist wie ein Engel, der uns geschickt wurde, damit wir das Lachen nicht verlernen.
     
    Kurz darauf tritt der Himmelsbote mit leuchtenden Augen herein, doch statt eine frohe Botschaft zu verkünden, kippt Rudi nur schnell den Wodka und sagt: » Nastrowje! Ich muß gleich wieder zurück, wir spielen noch eine Partie!«

7
    Anneliese hält den flatterhaften Engel am Ärmel fest. »Hiergeblieben!« befiehlt sie und will wissen, wann sie mit der Rückfahrt rechnen kann. »Ich muß noch meine Blumen gießen, bevor es dunkel wird!« sagt sie.
    Etwas verständnislos, aber stets liebenswürdig, setzt sich Rudi nun auf eine Sessellehne und linst erst einmal unter den Tisch, ob der Schmuckkoffer noch dort steht. Dann schaufelt er sich rasch ein halbes Tortenstück von Annelieses Teller in den Mund. Aber trotz aller Eile brennt er darauf, uns kauend und schluckend eine Sensation mitzuteilen.
    »So ein Zufall, ich kann es kaum fassen!« sagt er begeistert und erzählt, daß sein Schachpartner das gleiche Problem hat wie er selbst, nämlich zwei unterschiedliche Schuhgrößen.
    »Wenn er nun genau umgekehrt gestrickt wäre wie ich, könnten wir uns immer zwei gleiche Modelle kaufen, dann den rechten beziehungsweise linken Schuh austauschen und uns perfekt ergänzen. Nur leider ist es bei ihm genauso wie bei mir, der rechte Fuß ist der größere!«
    Langsam begreift Anneliese, daß es sich hier um eine Schicksalsfrage handelt.
    »Ihr habt also bloß über eure Schuhe geplaudert?« frage ich fassungslos. »Verstehst du denn gar nicht, daß deine finanzielle Existenz auf dem Spiel steht?«
    Doch Rudi rechtfertigt sich: Wie ausgemacht, hatte er den Schachspielern über die Schulter geschaut und ganz beiläufig einen sachkundigen Vorschlag geäußert – wie er dachte. Fröhliches Gelächter war die Folge. Dann erklärte ihm einer der Spieler den Grund für die Heiterkeit: »You are just like Nikolai!«
    Anscheinend war Nikolai ein anderer Zuschauer, der sich kurz zuvor genauso blamiert hatte wie Rudi. Man holte ein zweites Schachbrett und setzte die beiden Anfänger zusammen, um Ruhe vor ihren unqualifizierten Kommentaren zu haben.
    »… und jetzt macht es uns riesigen Spaß!« sagt Rudi. »Nikolai ist so was von nett! Außerdem habe ich schon viel gelernt, Russisch ist gar nicht so schwer! Könnt ihr das zum Beispiel lesen?«
    Er nimmt eine Eiskarte in die Hand und schreibt K Y P O P T darauf. Entziffern können wir dieses Wort zwar schon, aber nichts damit anfangen.
    Stolz belehrt uns Rudi: »Das sind kyrillische Buchstaben, und es heißt nicht Küpopt sondern Kurort wie bei uns im Deutschen. Und ratet mal, was sonst noch alles aus unserer Sprache kommt! Schlagbaum, Rucksack, Butterbrot, Absatz, Buchhalter und viele andere Wörter!«
    »Schön, daß du so flott Russisch lernst! Was heißt denn antiker Schmuck, Collier, Ring, Diadem und so weiter?« frage ich.
    Er wolle nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen, sagt Rudi, er müsse erst ihr Vertrauen gewinnen und könne sich nur langsam an das Thema heranpirschen. Wir sollten uns nicht so viele Gedanken machen und lieber das schicke Hotel genießen. Mit diesen tröstlichen Worten läßt er uns abermals allein.
    Schon wird es wieder ein bißchen langweilig, und wir versuchen es wie die Kinder mit Ratespielen. »Welche russischen Wörter kennst du, die wir auch verwenden?« frage ich.
    Anneliese überlegt: »Datscha natürlich, Balalaika, Zar und Samowar, das war’s schon. Und vielleicht neureich?«
    Eigentlich ein sehr abwertendes Wort. Dabei waren alle Reichen in der ersten Generation einmal neureich. Wohlstand, der in kurzer Zeit erworben wurde, gilt schnell als anrüchig, wird gern mit illegalen Transaktionen, mit Betrügern, Kriegsgewinnlern, Schiebern, mafiosem Drogen-, Frauen- oder Waffenhandel in Verbindung gebracht. Dabei kann es sich genausogut um einen tüchtigen Geschäftsmann handeln, der es als erster eines kleinbürgerlichen Clans zum Millionär gebracht hat.
     
    Plötzlich stehen sie vor uns: Nikolai, Rudi und die anderen Schachspieler. Alle reden gleichzeitig auf russisch, deutsch, englisch und Nikolai zur allgemeinen Verwirrung auf französisch. Nachdem wir uns bekannt gemacht und begrüßt haben, starren die Männer hingerissen auf Annelieses Dekolleté. Rudi scheint etwas irritiert zu sein, denn wir hatten vereinbart, daß nur ich ein wenig Schmuck trage. Eine wirkliche Dame würde niemals mit einem Diadem zum Nachmittagstee erscheinen.
    Man winkt den Frauen

Weitere Kostenlose Bücher