Ladylike
zu: »Oxana, Ludmilla!«
Meine Freundin erinnert sich an Kriegsfilme oder ungute Kindheitserlebnisse und ruft ihrerseits lauthals: »Dawai, dawai!«
Bald steht ein Kreis von Bewunderern um Anneliese herum und stiert auf die Smaragde, ich bin völlig abgeschrieben. Oxana und ihr Partner Wladimir sprechen Deutsch. »Wieviel?« fragt er ohne Umschweife.
Rudi nennt eine Summe, die mich erröten läßt, aber zum Glück beachtet mich niemand. Wider Erwarten fahren die Interessenten bei diesem Wucherpreis nicht schreckhaft zusammen, sondern nicken versonnen.
Oxana meint allerdings: »Kette ist nicht modern, könnte man Steine abmachen vielleicht?«
Auch ihre Freundin zögert. Die geschnittenen Smaragdcabochons finden beide zwar picobello , ein Wort, das wohl ebenfalls in ihre Sprache eingegangen ist, aber die Biedermeierfassung entspricht nicht ihrem Geschmack. Mir wird ganz schlecht bei dem Gedanken, das aufwendig gearbeitete Ensemble in Einzelteile zu zerlegen.
Nach kurzem Überlegen mische ich mich energisch ein und erkläre, daß ich die Eigentümerin sei und meine Freundin Anneliese diese prächtige Kette gerade kaufen wolle. Es komme auf keinen Fall in Frage, daß man ein historisches Kleinod umarbeite!
Rudi bemüht sich sofort, meinen angeblichen Hochadel zu beweisen; er wühlt eine Weile in seiner Brieftasche, bis er eine vergilbte Visitenkarte der ursprünglichen Besitzerin findet. Mit einer gewissen Ehrfurcht studieren unsere potentiellen Kunden den Titel und die vielen Vornamen der verstorbenen Adeligen.
Oxana hört zwar mit Interesse zu, hat aber immer noch nicht begriffen, daß es sich um Antiquitäten handelt. Selbstbewußt zeigt sie uns die eigene Kette – Tahitizuchtperlen mit dunkelgrauem Lüster –, die zweifellos teuer war.
Auch Ludmilla schaltet sich ein, breitet ihre klotzigen Goldringe vor uns aus und läßt fragen, ob wir nicht etwas in dieser Art anzubieten hätten.
Resigniert schütteln Rudi und ich die Köpfe.
Wladimir, der laut Oxana ein großer Businessman ist, kümmert sich nicht sonderlich um die Extrawünsche seiner Frau oder Freundin und kommt nach längerem Abwägen zu einem Entschluß: Man werde einen Profi holen, um unsere Ware zu begutachten. Nikolai wird als Bote losgeschickt, Sessel und Stühle werden an unseren Tisch geschoben, der Kellner nimmt mit erstaunlicher Geschwindigkeit die Bestellungen auf. Die Stimmung wird fast übermütig, die Russen prosten uns zu. Noch bevor der Experte eingetroffen ist, hat mir Rudi das Diadem aufgesetzt, und alle staunen mich an wie ein Fabelwesen.
Der erwartete Fachmann ist eine Frau und genießt offensichtlich großes Ansehen. Sie ist etwa fünfzig, hat ein scharfes Vogelgesicht und sieht mich mit taxierenden Blicken an. Ich weiß sofort, daß man ihr kein Theater vorspielen kann; an ihr selbst entdecke ich im übrigen keinen Schmuck. Wladimir, den sie mit Direktor anredet, erklärt ihr auf russisch die Sachlage. Sie lächelt andeutungsweise und zieht aus ihrem geräumigen Samtbeutel eine 10fache Lupe, eine digitale Feinwaage und ein Silberputztuch heraus. Anneliese muß alle Teile der Parure abnehmen und der Expertin vorlegen; als es um den geforderten Preis geht, schlägt sie allerdings die Hände über dem Kopf zusammen und ruft: »Absurd!«
Wladimir, der Direktor, übersetzt: »Spezialist sagt Unsinn!«
Oxana und Ludmilla haben das Interesse an Schmuck aus Omas Mottenkiste verloren und unterhalten sich wahrscheinlich über uns. Abwechselnd fixieren sie Rudi, Anneliese oder mich und tuscheln dann miteinander.
Leider verstehen wir nicht, was Wladimir und die Sachverständige miteinander bereden. Man bittet mich, alles vorzuzeigen, was ich verkaufen wolle. Auf mein gebieterisches Handzeichen angelt Rudi die Schatzkiste hervor und öffnet sie.
Die kundige Russin prüft winzige Punzen, wiegt, reibt, kratzt, poliert, kritzelt Zahlen und entlarvt triumphierend eine Imitation, die ich nicht als solche erkannt hatte. Im großen und ganzen scheint sie aber von der Qualität der Pretiosen überzeugt zu sein, besonders das Diadem hat es ihr angetan. Immer wieder nickt sie dem Direktor beifällig zu, greift am Ende zum Taschenrechner und addiert mit Akribie, bis sie mir die Endsumme unter die Nase hält.
Wladimir sagt: »Für alles zusammen!«
Jetzt ist Rudi, der vehement protestiert, in seinem Element. Mir ist klar, daß er durch dieses Angebot zwar seine Schulden los wäre, aber nicht gerade viel dabei verdient hätte. Das peinliche
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