Ladylike
abricotfarbenen Schloß halte ich kurz an, um den Blick durch die Mittelachse vom Arions-Brunnen bis zum großen Weiher zu genießen. Wie popelig erscheint mir auf einmal Annelieses Zwergengarten mit seinen kleindimensionierten Rabatten und dem winzigen Rasenstück! Da kann ein einziger großer Baum auch nicht mehr viel retten.
Wie prächtig ist doch der französische Barockgarten, der sich neben der Hauptallee durch Laubengänge, Hecken, Haine und über zierliche Bogenbrücken bis zum Wasser hinzieht! Eine kurze Pause gönne ich mir erst an der Orangerie, von wo es nicht mehr weit bis zum Apollo-Tempel ist. Am großen Weiher setze ich mich auf das Ufermäuerchen, weil ich mich in zwei steinerne Flußgötter verliebt habe. Mit einer gewissen Wehmut denke ich an den Vier-Ströme-Brunnen von Bernini auf der römischen Piazza Navona. Dort fotografierte mich mein Mann, als wir noch ein glückliches Paar waren.
Doch auch hier geht es fröhlich zu. Großeltern und ihre Enkel füttern die Enten. »Vieni, vieni!« lockt ein italienisches Kleinkind furchtlos einen Schwan heran, in Rom hatten mir wiederum oft deutsche Worte in den Ohren geklungen. Ein wenig später schlendere ich durch den englischen Landschaftsgarten, wo es wilder und einsamer wird. Hat Anneliese hier den Bärlauch geerntet? Im Gras entdecke ich aber bloß eine liegengebliebene rote Strickjacke.
Es entspricht eigentlich meiner Erziehung, Fundsachen an der Kasse abzugeben, aber mir ist kühl, die Jacke paßt wie angegossen und wärmt. Kurz entschlossen behalte ich sie an und fühle mich durch die ungewohnte Farbe seltsam beschwingt und wie neugeboren.
Kurz darauf taucht ein Paar auf, das suchend die Wege abgeht. Etwas beschämt beginne ich bereits, die Jacke wieder aufzuknöpfen, als mich ein gleichgültiger Blick der jungen Frau streift. Anscheinend feit mich eine Tarnkappe vor Bloßstellung. Gut, flüstere ich trotzig, wenn ältere Menschen doch nur Luft für dich sind, dann kannst du dir dein Jäckchen eben in den Wind schreiben.
Während Anneliese ihren Gast mit selbstgebackener Himbeertorte füttert, lasse ich in einem spontanen Impuls die orientalische Moschee links liegen und nähere mich ganz gegen meine Prinzipien dem Schloßcafé. Soll meine schlanke Taille doch zum Teufel gehen, sage ich mir trotzig, bisher hat sie mir wenig Komplimente eingebracht. Ohne Skrupel bestelle ich mir den größten Eisbecher, den ich auf der Speisekarte finden kann.
Um sieben bin ich wieder zu Hause. Anneliese hat verräterisch rote Wangen und lügt: »Schade, du hast ihn gerade verpaßt!«
»Und? Wie war’s?«
Anneliese hält mir ein Foto hin: »Sieh mal, hat er mir mitgebracht!«
Es ist eine vergilbte Aufnahme aus unserer Tanzstunde; die gezackten Ränder sind eingerissen, als habe jemand das Foto vernichten wollen. Das tanzende Paar sieht nach heutigen Maßstäben nicht sonderlich elegant aus, rührt mich aber in seiner tolpatschigen Unbeholfenheit. Damals sah Ewald eigentlich gar nicht schlecht aus. Jedenfalls muß er seinen Besuch durchaus geplant haben, wenn er dieses Foto extra von zu Hause mitbrachte. Oder hat er es etwa fünfzig Jahre lang in der Brieftasche herumgetragen?
»Wie sieht er denn heute aus?« frage ich.
»Gut«, sagt sie sofort, »sogar sehr gut. Groß, graue Schläfen, braungebrannt, kraftvoll. Eine Mischung aus John Wayne und Cary Grant. Obwohl er zwei Jahre älter ist als wir, war er bis vor kurzem noch leidenschaftlicher Segelflieger! Er muß unwahrscheinlich mutig sein. Aber er hat es nicht leicht gehabt im Leben und in den letzten Jahren schon gar nicht!«
Auf Mitleid machen ist immer noch die älteste Masche der Welt. »Und seine Frau versteht ihn nicht«, sage ich.
»Ja, das stimmt irgendwie«, sagt Anneliese treuherzig. »Und ich kann ihm die Probleme mit einer chronischkranken Partnerin nachfühlen. Die letzte Zeit mit Hardy war geradezu ein Martyrium für mich! Mit Ewalds Frau sieht es nicht viel besser aus. Bei rheumatischer Polyarthritis wird man ständig von Schmerzen geplagt und ist übellaunig, gereizt und ungerecht.«
»Stirbt sie denn wenigstens bald?« frage ich.
Anneliese hört die Ironie nicht heraus. »Danach konnte ich nicht direkt fragen«, sagt sie, »aber ich fürchte, es sieht nicht so aus. – Was hast du denn da für eine Jacke an? Rot paßt gut zu deinem ewigen Grau, so etwas Flottes hättest du dir längst schon zulegen sollen.«
Sie zupft Grashalme von meinem Rücken und spöttelt nun auch ein
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