Ladylike
aber genug Geld zu haben, unsere gute Lore!«
Und Ricarda: »Kein Wunder, wenn man einen Laden hatte, der Goldgrube heißt! Aber sie ist okay, ich mag sie lieber als die Dicke, die dich immer so penetrant anmacht.«
»Ohne meinen Charme hätten uns die beiden niemals angeheuert.«
Ricarda lacht. »Was du dir alles einbildest! Ach, ich freu mich schon wieder aufs Abendessen, wahrscheinlich habe ich in den paar Tagen fünf Kilo zugenommen!«
»Und ich freue mich schon auf etwas viel Süßeres«, sagt Moritz.
Auch die hiesige Küche ist keine Enttäuschung: Die Nordseescholle ist fangfrisch, die Estragonsoße fließt gelb und würzig über den Fisch und die grünen Spargel. Zum Nachtisch gibt es Amaretto-Sahnepudding mit Passionsfruchtgelee. Zwei Flaschen Riesling müssen dran glauben. Da mich unsere jungen Gäste für reich und großzügig halten, bleibe ich meiner Rolle treu. Ein Flug nach Portugal inklusive drei Wochen Vollpension wäre wesentlich billiger gewesen.
»Wann kommt Ewald eigentlich an?« frage ich meine sicherlich gut informierte Freundin, und die Studenten lachen. Sie denken immer noch, Rudis Hund sei gemeint.
»Wir sollen ihn morgen um 15.20 Uhr vom Flugplatz Westerland abholen«, sagt Anneliese. »Das ist nicht allzuweit von Kampen. Er fliegt erst nach Hamburg und dann weiter mit Sylt Air. Ich glaube, er hat etwas von einer Cessna gesagt – ist das nicht gefährlich?«
Wir beeilen uns alle drei, Anneliese von der Harmlosigkeit des Fluges zu überzeugen, wenn auch Ricarda bezweifelt, daß bei diesem Wind ein kleiner Wackelflieger überhaupt starten darf. Die dritte Flasche Schloß Johannisberger wird geöffnet, und völlig unerwartet bietet Anneliese den Studenten das Du an. Ich bin ebenfalls gut aufgelegt und gebe ihnen für den nächsten Tag frei; zum Flughafen werde ich persönlich fahren.
Schließlich liegen Anneliese und ich in unseren zwei Einzelzimmern. Von meinem Bett aus kann ich die Heidelandschaft und einen Leuchtturm sehen.
20
Mein Exmann und ich waren als junges Paar längst nicht so selbstbewußt, vergnügt und ungezwungen wie Moritz und Ricarda. Stets achteten wir darauf, uns anständig zu benehmen und auf keinen Fall unangenehm aufzufallen. Selbst im größten Zorn wären einer wohlerzogenen Tochter wie mir keine »schmutzigen« Wörter über die Lippen gekommen. Ladylike war die Devise. Wenn Udo mit seinen angetrunkenen Skatfreunden über den Kinsey-Report oder Beate Uhse witzelte, verstummte man, sowie ich den Raum betrat.
Seit unserer ersten Reise nach Sylt sind mehr als 45 Jahre vergangen. Damals wollten wir uns beweisen, daß wir genauso aufgeschlossen und modern waren wie die Verfechter der Freikörperkultur; aber im Grunde waren wir so prüde wie unsere Eltern und fühlten uns als Nackedeis nicht wohl.
Leider muß ich zugeben, daß es mir heute nicht viel anders ergeht, wenn auch aus anderen Gründen. Wäre ich jetzt noch einmal jung und hübsch, ich würde Sonne, Wind und Salzwasser auf meiner bloßen Haut von Herzen genießen, aber einen Anblick wie die unwürdige Greisin gestern will ich keinem zumuten.
Lore, du bist und bleibst eine Spießerin! schimpfe ich mich selbst aus. Die Gesellschaft sollte es akzeptieren, daß zwischen jungen und alten Körpern Unterschiede bestehen. Schließlich ist es dem Betrachter freigestellt, was er für ästhetisch hält. Junge wie Alte folgen dem einseitigen Schönheitsideal der Medien, keiner bringt den Mut auf, sich dagegen aufzulehnen. Die Nackte von gestern war ein Freigeist, man sollte ihre Souveränität bewundern.
Viel zu lange bin ich heute im Bett geblieben. Inzwischen ist es bereits zehn, und Anneliese und die jungen Leute sitzen nicht mehr am Frühstückstisch. Ich hole mir eine Zeitung, trinke Kaffee und lese rein mechanisch, denn mich beschäftigen andere Dinge als Politik und Wirtschaft. Warum kommt Ewald hierher, kaum daß seine Frau gestorben ist? Was treibt ihn Hals über Kopf nach Sylt, obwohl er sich wochenlang überhaupt nicht bei uns gemeldet hat? Kann es wirklich nur an den Dosen liegen?
Draußen sonnt sich Anneliese in einem Liegestuhl. Von der sommerlichen Gartenarbeit hat sie ohnedies eine gesunde Gesichtsfarbe, aber offenbar will sie rot wie ein Hummer werden.
Schnell wünsche ich ihr einen guten Morgen, dann mache ich eine kleine Tour durch den Ort. Verwundert betrachte ich den Schnickschnack in manchen Schaufenstern, der selbst im versnobten Wiesbaden auffallen würde. Pullover und
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