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Ladylike

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Titel: Ladylike Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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möchte, bis er eine passende Wohnung gefunden hat. Jetzt soll bereits das Haus umgebaut werden? Und wer wird das alles mal wieder bezahlen? Oder rechnet Anneliese damit, daß ich das Feld räume, damit sich die beiden nach Belieben breitmachen können? Wo soll ich auf meine alten Tage bleiben? Meine Schwiegertochter liebt mich nicht gerade heiß und innig, noch nie war die Rede davon, daß man mich nach Berlin holen möchte. Ich verstumme völlig.
    »Warum geben wir diesem Mann soviel Macht über uns?« lenkt Anneliese unvermittelt ein. »Warum kreisen unsere Gedanken ständig um Ewald, und wir kriegen beinahe Streit? Was ist eigentlich Besonderes an ihm?«
    Mit Verwunderung registriere ich eine noch nie so offen formulierte Ehrlichkeit in ihren Worten. Sie erwartet, daß auch ich die Karten auf den Tisch lege.
    »Wahrscheinlich hat sich sehr viel Liebe in uns aufgestaut, die sich jetzt ein Ventil sucht«, sage ich und werde ein wenig rot. »Wir sind wohl in unseren Gefühlen auch nicht anders als fünfzehnjährige Mädchen. Im Zustand der Bedürftigkeit fliegt man auf nahezu jeden Mann, wenn er nur im richtigen Moment zur Tür hereinspaziert.«
    »Er hat etwas Unverschämtes an sich«, sagt Anneliese auf einmal, »und das zieht Frauen magisch an!«

23
    In Schwetzingen ist es Herbst geworden, und Annelieses Feriengäste standen gestern vor der Tür.
    Wie eine Löwenmutter liegt sie morgens im Bett und läßt ihre Enkel um sich herumkrabbeln. Die Kinder ihrer jüngsten Tochter heißen Mira und Ruben und sind zugegebenermaßen entzückend. Ein wenig bitter denke ich an meine eigenen Enkel, die ich selten sehe. Kurz vor Weihnachten oder Geburtstagen schicken sie mir einen Wunschzettel, der mich regelmäßig verärgert. Genausogut könnten sie gleich Bargeld verlangen, denn ihre Angaben – inklusive Preisen – sind wie aus dem Katalog. Pflichtgemäß, aber ohne Freude, kaufe ich dann die angeforderten Fahrradhelme, Mini-Keyboards oder Joysticks.
    Meine Großmutter hatte mich einmal mit einem selbstgestrickten Norwegerpullover überrascht, den ich lange und gern getragen habe. Warum gönnt man mir nicht, daß ich ähnlich liebevolle Gaben fabriziere? Vor ein paar Jahren hätte ich gern Christians alten Kaufmannsladen hergerichtet. Mit Wonne hätte ich die Wände frisch tapeziert, Marzipanfrüchte in die Regale gelegt, die Gläschen mit Bonbons gefüllt, kleine Tüten, einen Bleistiftstummel und einen Rechenblock neben die Kasse gehängt. Man begründete die Ablehnung mit Platzmangel. Inzwischen sind beide Knaben fast zu alt für das reizende Spiel; statt daß sie abwiegen, einwickeln, Schokoladenmünzen zählen und in den Mund stopfen, hocken sie stundenlang vor ihren Computern und empfinden bloß mitleidiges Desinteresse für mich.
    Was habe ich falsch gemacht? Anneliese scheint eine natürliche Begabung zu haben, locker und lustig mit Kindern umzugehen, sie zwar gelegentlich in ihre Grenzen zu verweisen, aber alles mit Humor und Herzlichkeit; das ist mir nicht gelungen. Die Beziehung zu meiner Schwiegertochter und den Enkeln ist distanziert, was natürlich auch das Verhältnis zu Christian getrübt hat. Er besucht mich am liebsten ohne Anhang und wenn es sich mit einer Geschäftsreise verbinden läßt.
    Wahrscheinlich empfindet Anneliese tiefes Glück beim Körperkontakt mit kleinen Kindern. Selbst ich wurde heute butterweich, als die vierjährige Mira frühmorgens in mein Bett schlüpfte, um mir ein Bilderbuch zu zeigen. Es war ein wenig kühl im Raum, denn ich schlafe stets bei offenem Fenster, und der kleine, weiche Körper schmiegte sich warm und vertrauensvoll an mich. Nach dem ungewohnt zärtlichen Beginn des Tages blieb ich zum Frühstück nicht auf meinem Zimmer, sondern gesellte mich zu Anneliese und ihren Gästen, die fröhlich in ihren Cornflakes herumpanschten.
    Später erhielten die Kinder von ihrer Oma eine Lektion in Botanik. Vor allem die Kermesbeere mit ihren glänzenden rot-schwarzen Früchten hat es ihren Enkeln angetan. Sie haben aber längst begriffen, daß nicht alles eßbar ist, was appetitlich aussieht.
    »Bei der Phytolacca americana ist vor allem die Wurzel giftig«, sagt Anneliese zu mir, »und daran vergreift sich kaum je ein Kind.«
     
    Mittlerweile sind wir auf dem Spielplatz angekommen und überlegen einmal mehr, warum Ewald sich nicht wieder meldet.
    Trotz unseres intensiven Gesprächs behält Anneliese die Kinder im Auge und verbietet mit durchdringender Stimme, die Rutschbahn zu

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