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Laennaeus, Olle

Laennaeus, Olle

Titel: Laennaeus, Olle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das fremde Kind
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wiedererkannt.
    Er hat dreimal kurz geklingelt und
sofort eingesehen, dass es mindestens einmal zu viel war. Alte Menschen soll man
nicht unnötig beunruhigen. Er wartet ungeduldig im Treppenhaus und starrt auf die
Holztür, die im Laufe der Zeit ausgeblichen ist und diverse Schrammen davongetragen
hat. Ein handgeschriebener Zettel besagt, dass Gudrun Vernersson keine Werbung bekommen
möchte.
    Dann rasselt eine Sicherheitskette,
und die Tür gleitet langsam auf. Gudan steht direkt hinter der Schwelle, wie ein
Schatten im Dunkeln. Konrad weicht unmittelbar zurück. Sie hat etwas Gespenstisches,
vielleicht ist es das Wissen darüber, dass ihre Person eine Verbindung in die Vergangenheit
darstellt, die sie wie ein Phantom erscheinen lässt. Sie hat sich einen Morgenrock
übergestreift, der bis zum Boden reicht. Ihr weißes Haar fällt ihr über die Schultern
und ist länger, als er angenommen hat.
    «Ja ... äh, dürfte ich kurz reinkommen?»
    Gudans Blick ist ausdruckslos. Sie
hat eine große Nase und einen Mund, der in ihrem länglichen, flachen Gesicht viel
zu klein wirkt. Dann nickt sie nahezu unmerklich.
    «Ich setze ein wenig Kaffee auf», murmelt
sie und verschwindet ins Innere der Wohnung.
    Konrad schließt vorsichtig die Tür
hinter sich und folgt ihr. Es ist dunkel und riecht nach vergorenem Obst und Lavendel.
An der Wand im Flur hängen gerahmte Porträts, und in einem größeren Zimmer erkennt
er die Konturen einer ausladenden Sitzgruppe. Irgendwo hört er eine Uhr ticken.
    «Sie müssen entschuldigen, dass ich
die Gardinen zugezogen habe. Aber ich fühle mich nicht so gut», hört er sie aus
der Küche sagen.
    Sie hat eine Lampe über dem Tisch angeknipst,
auf dem eine Schale mit Zucker auf einer gehäkelten Decke steht.
    «Wenn ich störe, kann ich auch ein
anderes Mal wiederkommen.»
    Gudan dreht sich mit der Kaffeekanne
in der Hand um. «Dann ist es möglicherweise zu spät. Dann bin ich vielleicht tot.»
    Es dauert ein paar Sekunden, bevor
sich ihr Gesicht zu einem faltigen Lächeln öffnet. Sie lacht auf, heiser wie eine
Krähe.
    «Ich hab nur einen Scherz gemacht.
So übel ist es um mich altes Weib nun auch nicht bestellt.»
    Erst jetzt entdeckt Konrad den Schalk
in ihrem Blick. Er atmet langsam aus. Die Alte scheint zumindest nicht unmittelbar
vor dem Sterben zu stehen. Dann setzt er sich an den Küchentisch und wartet, während
Gudan Tassen aus dem Schrank holt.
    «Ich habe mich gerade gefragt, wie
lange es dauern würde, bis Sie darauf kämen», sagt sie mit dem Rücken zu ihm gewandt.
    «Auf was?»
    Sie schenkt den Kaffee ein, der so
dünn ist, dass man den Tassenboden sehen kann, obwohl die Tasse voll ist.
    «Dass ich diejenige war, die sich um
Ihre Unterbringung bei Pflegeeltern gekümmert hat, natürlich.»
    «Sie wussten also, dass ich Sie aufsuchen
würde?»
    «Tja, das war ja nicht so schwer auszurechnen,
als Sie nach all den Jahren zurückkamen. Und mehr über das wissen wollten, was geschehen
ist.»
    «Und warum haben Sie nicht gleich etwas
gesagt?»
    Sie lächelt verschmitzt, taucht schließlich
ein Stück Würfelzucker in ihren Kaffee und lässt es auf der Zunge zergehen. Schnalzt
dann mit der Zunge.
    «In meinem Alter passiert nicht mehr
so viel Spannendes im Leben. Also muss man von dem zehren, was sich einem bietet.»
    Konrad muss unwillkürlich lachen. Die
alte Frau scheint Humor zu haben. Er folgt mit dem Blick ihrer geäderten Hand, die
leicht zitternd die Tasse hält, sodass sich kleine Wellen auf der Oberfläche des
Kaffees bilden. Muss an die Kraft denken, die sie einmal besaß. Diese gekrümmten
Finger glichen einem Schraubstock, als sie vor Hermans und Signes Tür standen.
    «Ich habe Ihren Namen in den alten
Unterlagen des Sozialamts gefunden», erklärt Konrad.
    «Ja, ja, das ist klar.»
    «Können Sie mir nicht erzählen, was
damals eigentlich passiert ist?»
    Ohne zu antworten, steht sie auf, schiebt
die Gardine ein wenig zur Seite und öffnet die Jalousien zur Hälfte, sodass etwas
Tageslicht in die Küche fällt. Sie kneift die Augen einen Augenblick lang zusammen,
als wolle sie einen Schmerz abwarten. Konrad bemerkt, dass sich auf dem Fußboden
in der Ecke Wollmäuse tummeln.
    «Da gab es einen einsamen kleinen Jungen»,
seufzt sie. «Das ist, was passiert ist. Jemand musste sich schließlich um ihn kümmern.»
    «Und es kam kein anderer in Frage?»
    Sie schnaubt.
    «Herman und Signe waren vielleicht
nicht die idealen Adoptiveltern. Aber sie haben sich aus eigenen

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