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Laennaeus, Olle

Laennaeus, Olle

Titel: Laennaeus, Olle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das fremde Kind
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Eltern. Na ja, Adoptiveltern muss man wohl
sagen ...»
    Konrad schweigt und versucht weiterzulesen.
    Agnes wird nur in wenigen Zeilen erwähnt.
Offenbar hat sie zeitweise von Sozialhilfe gelebt. Und von diversen Putzjobs. Dann
war sie plötzlich spurlos verschwunden. Keine Andeutungen darüber, was ihr zugestoßen
sein könnte.
    «Man muss es rauslassen», sagt Eleonor
Bengtsson.
    «Man darf es auf keinen Fall herunterschlucken.
Wenn man schreckliche Traumata erlebt hat, muss man darüber reden. Ich habe selber
vor einigen Jahren eine schwierige Scheidung durchgemacht. Ja, inzwischen ist es
schon etliche Jahre her. Und ich habe sehr gelitten, bis ich die Möglichkeit bekam,
mit einem erfahrenen Therapeuten zu sprechen.»
    «Mm ...»
    «Und für euch Männer ist es noch schwieriger.
Ihr habt ja auch noch eure Männerrolle, gegen die ihr ankämpfen müsst. Einsam und
stark zu sein, ich kann gut verstehen, dass das nicht leicht ist.»
    Sie seufzt und schüttelt bekümmert
den Kopf.
    Konrad holt tief Luft. Es fühlt sich
an, als würde ihm in diesem Raum jeglicher Sauerstoff entzogen. Die Frau und ihre
versammelten Stoffpuppen ersticken ihn. Verdammtes Weibsbild, was will sie nur von
ihm?
    «Ich bin ja selber eine recht erfahrene
... Gesprächspartnerin», sagt sie langsam und sieht ihn mit glasigen Augen an.
    Ihr Blick hat etwas Erdrückendes, Absorbierendes.
Konrad legt mit Bedacht das Dokument zur Seite.
    «Sie könnten mich nicht möglicherweise
kurz allein lassen, sodass ich in Ruhe diese Papiere lesen kann?», fragt er mit
zusammengebissenen Zähnen. «Oder vielleicht gibt es einen anderen Raum, in den ich
mich setzen kann?»
    Eleonor Bengtsson schrickt zusammen,
als hätte man sie aus einem Traum geweckt. Sie steht eilig auf und verzieht den
Mund.
    «Aber natürlich! Entschuldigen Sie,
dass ich versuche, Ihnen behilflich zu sein. Ich habe sowieso gleich Kaffeepause.»
    Sie schlurft aus dem Raum. Konrad stößt
einen Seufzer der Erleichterung aus. Er steht auf, öffnet ein quietschendes Fenster
und atmet tief und lange durch, bevor er sich wieder an den Tisch setzt.
    Auf der zweiten Seite der Sozialamtsakte
ist ein kurzer Abschnitt über ihn selbst zu lesen: ein siebenjähriger Junge, der
bei seiner alleinstehenden Mutter aufgewachsen ist. Scheu und zurückhaltend, aber
für reif befunden, im Herbst mit der Schule zu beginnen. Keine physischen Defekte
bekannt.
    In seinem Kopf taucht eine Erinnerung
an eine Krankenschwester in weißem Kittel auf. Sie untersucht ihn mit festen kalten
Händen. Sie hat eisblaue Augen und große Pferdezähne, und er steht frierend in
Unterhosen da, obwohl es mitten im Sommer ist. Es riecht streng nach Desinfektionsmittel.
Er bekommt eine Spritze in den Arm und einen aufmunternden Klaps auf den Po, als
er fertig ist.
    Konrad liest auch etwas über Herman
und Signe. Dürftige Notizen, die nicht besonders viel Aufschluss über die Menschen
aus Fleisch und Blut geben, um die es geht: untadeliger Lebenswandel. Hart arbeitende
Eheleute mit eingeschränkten Finanzen, aber ohne Schulden. Ein leiblicher Sohn
von sechzehn Jahren. Kein Missbrauch bekannt. Keine Vermerke im Strafregister.
Gemäß dem Beschluss sind sie als Pflegeeltern begutachtet und für geeignet befunden
worden.
    Er wirft die Unterlagen auf den Schreibtisch
und lehnt sich unentschlossen auf dem Stuhl zurück. Der überwiegende Teil des Dokuments
besteht aus juristischen Texten und Formalien, trocken wiedergegeben von pflichtbewussten
Beamten. Er hat das Gefühl, rein gar nichts Neues erfahren zu haben.
    Als er schon die Mappe zuschlagen und
den Raum verlassen will, fällt sein Blick auf die Unterschrift. Sie ist mit blauem
Füllfederhalter sauber von Hand geschrieben. Der Name ist außerdem in Maschinenschrift
verdeutlicht.
    Von Amts wegen: Gudrun Vernersson.
    Das kann kein Zufall sein.
    Ganz hinten in seinem Hirn flackert
etwas auf. War es nicht eine ältere Frau, die vom Sozialamt kam? Er schüttelt verwirrt
den Kopf. Vielleicht kam sie ihm nur als kleinem Jungen alt vor.
    In Wirklichkeit muss sie damals jünger
gewesen sein, als er heute ist. Die großgewachsene brüske Frau vom Sozialamt, die
seine Hand so fest gedrückt hat, als sie auf der Treppe zu Hermans und Signes grauem
Eternithaus standen.
    Es kann unmöglich zwei Frauen mit demselben
ungewöhnlichen Namen in einem Ort geben.
    Es muss Gudan gewesen sein.
     
    H inter dem Guckloch
flattert ein Schatten vorbei, und Konrad merkt, dass er beobachtet wird. Und

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