Laennaeus, Olle
fragend an, bis er plötzlich begreift. Er sieht den vergilbten, ausgefransten
Zeitungsausschnitt vor sich: Wir wissen, dass sie ihren Lebensunterhalt
auf eine Art und Weise verdiente, die nicht gerade als ehrenwert angesehen wird
und die wir in unserer Gemeinde nicht gewöhnt sind.
Kommissar Kurt Nilsson, dem es nicht
gelungen ist herauszufinden, was seiner Mutter, Agnes, zugestoßen ist. Oder der
sich ganz einfach nicht genügend angestrengt hat, um sie zu finden.
«Wir ... wir standen einander eine
Zeitlang sehr nahe», sagt Gudrun Vernersson schüchtern.
Konrad nimmt die Fotografie in die
Hand und begegnet dem blauen Blick. Er hat etwas Treuherziges. Ein Kleinstadtpolizist
im schwedischen Sozialstaat, lange vor der Zeit des Bösen. Er schüttelt den Kopf
angesichts seines absurden Gedankens. Schließlich existierte das Böse schon immer.
Die Frage ist nur, ob Kurt Nilsson mehr wusste, als er in der Zeitung veröffentlicht
hat. Oder ob er nur ein gewöhnlicher dämlicher Bulle war.
«Lebt er noch?», fragt Konrad.
«Ja, sicher lebt er noch. Ich besuche
ihn jede Woche.»
Gudan nimmt ihm die Fotografie ab und
stellt sie wieder auf ihren Platz auf dem Sekretär.
«Wir hatten einmal vor zu heiraten.
Aber wir haben uns mit der Zeit auseinandergelebt...»
Sie hält inne, zaubert ein großes Taschentuch
aus einer Tasche ihres Morgenmantels hervor und schnäuzt sich.
«Ach, warum soll ich damit hinterm
Berg halten. Es spielt ja doch keine Rolle mehr. Um die Wahrheit zu sagen, hab ich
mit ihm Schluss gemacht, weil er mich betrogen hat. Er hatte eine Menge Frauen neben
mir. Er konnte nichts dafür, hat er behauptet. Ich habe keine Ahnung, ob es Männer
gibt, bei denen es funktioniert. Mich hat er jedenfalls nicht bekommen.»
«Aber Sie sagen, dass er noch lebt?»
«Ja, er sitzt seit einigen Jahren oben
in Byavängen in der Demenzabteilung.»
Konrad befällt ein Gefühl der Enttäuschung.
Er sieht die Spur im Wüstensand wieder zuwehen.
«Wir hatten viele Jahre lang keinen
Kontakt zueinander. Aber als ich hörte, dass er krank ist, habe ich angefangen,
ihn zu besuchen. Er hat niemanden außer mir. Manchmal, wenn wir allein sind, kann
ich mich mit ihm unterhalten. Ich sitze dann da und halte seine Hand und erzähle
ihm davon, wie wir geheiratet haben. Dann sieht er richtig glücklich aus. Außerdem
mag ich den Geruch seiner Zigarren.»
«Geheiratet haben?»
Aus Gudans länglichem Gesicht fällt
unerwartet eine Träne.
«Natürlich stelle ich mir das nur vor»,
sagt sie mit dünner Stimme, «dass sich das Leben so gefügt hat, wie ich es mir gewünscht
habe. Aber es kann doch nicht falsch sein zu lügen, wenn es jemanden glücklich
macht, oder?»
Konrad kann dem Impuls, die Träne auf
ihrer Wange vorsichtig wegzuwischen, nicht widerstehen.
«Nein, das ist bestimmt nicht falsch.»
«Ach was», sagt sie rasch und schnäuzt
sich erneut. «Jetzt sitze ich hier und werde auch noch sentimental, ich altes Weib.
Das wollte ich doch eigentlich gar nicht erzählen.»
«Was war es denn?»
Sie setzt sich auf das Plüschsofa,
während Konrad sich in den Sessel gegenüber setzt.
«Kurt und ich, wir haben damals natürlich
über das Verschwinden Ihrer Mutter gesprochen. Oder besser gesagt, ich habe ihn
eine Menge gefragt. Ich war ja von Seiten des Sozialamtes für Sie zuständig. Also
war ich natürlich neugierig.»
«Und was haben Sie erfahren?»
Gudan wirft ihm einen unruhigen Blick
zu.
«Na ja, eine ganze Menge, was nicht
gerade erfreulich war. Es schien, als hätte sie ... Herren gegen Bezahlung empfangen.
Jedenfalls kursierte für längere Zeit das Gerücht.»
Wieder breitet sich diese Kühle in
seiner Magengegend aus. Warum nur hat ihr keiner geholfen? Konrad weiß, dass er
sich niemals an den Gedanken gewöhnen wird, dass Agnes auf diese Weise erniedrigt
worden ist.
«Aber das war nicht das Wesentliche»,
fährt Gudan fort. «Kurt hat sich liebend gerne über ihren Lebenswandel ausgelassen,
und ich weiß noch, dass es mich ärgerte, dass er in seiner Wortwahl nicht mehr Mitgefühl
gezeigt hat. Das Merkwürdige war nur, dass er plötzlich so verändert wirkte, als
ich ihm Fragen zu den polizeilichen Ermittlungen gestellt habe.»
«Inwiefern?»
«Er wurde still. Wollte nichts sagen.
Es schien, als wäre da etwas, das ihm zu schaffen machte.»
«Lag es vielleicht an der Rücksichtnahme
auf die Geheimhaltungspflicht? »
Sie schüttelt den Kopf, sodass ihre
weißen Haarsträhnen zum Leben erwachen. Dann legt
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