Laennaeus, Olle
Ordnern. Sie enthalten alte Zeitungsausschnitte, vergilbte
Dokumente und handschriftliche Anmerkungen in pedantischer Manier, die Sven selber
verfasst haben muss. Alte Flugblätter und unscharfe Schwarz-Weiß-Fotos von jungen
uniformierten Männern, die am Bahnhof fröhlich winken, in irgendeiner undefinierbaren
flachen Landschaft in Panzern sitzen oder gerade damit beschäftigt sind, an einem
lehmigen Abschnitt der Front Schützengräben auszuheben.
«Weißt du, ob außer Kurt Nilsson noch
weitere aus Tomelilla kamen?», fragt Konrad schließlich.
Sven schüttelt den Kopf.
«Nicht, dass ich wüsste. Diese Jungs
scheinen aus allen Gegenden Schwedens gekommen zu sein, aus allen möglichen Städten
von Kiruna bis hin nach Trelleborg. Aber natürlich sind auch nicht alle bekannt...»
Er steht zögerlich auf. Wirft erneut
einen Blick in Richtung der schlafenden Lena draußen unterm Pflaumenbaum. Und zieht
einen weiteren Ordner aus dem Schrank.
«Ich ahne schon, auf was du hinauswillst,
Konrad. Und es gibt da eine Geschichte, die dir möglicherweise auf die richtige
Spur hilft», sagt er feierlich.
Und dann berichtet Sven Myrberg, der
Amateurforscher, der als Junge davon geträumt hat, auf dem Mond zu landen, von den
Erkenntnissen, die er gewann, als er tief im dunkelbraunen Schlamm der Geschichte
von Skäne gegraben hat:
«Die Ziffern, die du in Agnes' Arm
eintätowiert gesehen hast, Konrad. Es gibt da einen seltsamen Faden, der sich durch
die Geschichte zieht. Ich hab viel Zeit darauf verwendet, über den Nationalsozialismus
in Skäne zu forschen. Weiß der Himmel, wie viel tausend Stunden ich in Bibliotheken
und Archiven in den Gemeinden hier draußen und in Lund und Malmö zugebracht habe.
Es ist verblüffend, wie viel Material man finden kann.
Du fragst dich bestimmt, warum ich
damit angefangen habe, oder? Tja, ganz genau weiß ich es auch nicht. Aber vor zehn,
zwölf Jahren hab ich von einem Eishockeyspieler in Västeräs gelesen, der mit einem
Messer von den Nazis erstochen worden ist, nur weil er homosexuell war. Das hat
mich natürlich ziemlich erschüttert. Damals ging es mir selber nicht so gut, deswegen
nehme ich an, dass meine Nachforschungen wohl eine Art Flucht waren. Aber danach
habe ich einfach immer weiter Material gesammelt.
Wie auch immer, der Nationalsozialismus
und der Hass gegen uns als Minderheit besitzen eine feste Verankerung in Skäne.
Man soll nicht übertreiben, die Nazis haben niemals mehr als dreißigtausend Stimmen
in einer schwedischen Wahl bekommen, aber in den Dreißigerjahren gab es eine Menge
Sympathisanten unter den Bauern, Offizieren und einem Teil der Akademiker hier unten.
In den Ortschaften wurden massenweise Naziversammlungen abgehalten. Der Reichsparteileiter
Birger Furugärd hat mehrmals hier in Tomelilla gesprochen. Und in Sjöbo haben die
Holz für ein Konzentrationslager gesägt, das gebaut werden
sollte, wenn die Deutschen erst Schweden befreit hätten. Ähnlich war es mit den
. Sie beraumten Versammlungen außerhalb von Ystad an, bei denen
Sven-Olof Lindholm unter dem Hakenkreuz eigenhändig Protestplakate verbrannt hat.
Oftmals gab es einen ziemlichen Aufstand, wenn die Sozis und die Kommunisten protestierten.
Das ist alles dokumentiert.»
Während er berichtet, ist Sven aufgestanden
und hat angefangen, im Raum auf und ab zu wandern, wie ein Dozent in einem Auditorium.
Jetzt hält er inne und wirft seinem Zuhörer einen strengen Blick zu, als wolle
er kontrollieren, ob Konrad auch alles mitbekommen hat.
Dann setzt Sven seine Lektion fort:
«In den Vierzigern hat ein Mann namens
Per Engdahl die Nysvenska rörelse, die , ins Leben
gerufen, und 1956 wurde auf einer Hauptversammlung in Malmö die Nordiska rikspartiet
gegründet. Sie haben an und für sich nicht viel Aufhebens um sich gemacht. Aber
in den Siebzigern und Achtzigern bekam die Bewegung neues frisches Blut. Bevara
Sverige Svenskt, also BSS, bestand aus jüngeren Nazis, die alle Einwanderer rauswerfen
wollten. Aber die alte und die neue Bewegung flossen ineinander. Und als es richtig
heiß wurde, wie in dieser Volksabstimmung über das Flüchtlingsauffanglager in Sjöbo
1989, tauchten plötzlich Leute aus der alten Garde auf und verbreiteten ihre Propaganda.
Und dann erschien Vitariskt motständ
auf der Bildfläche, . Ein Zusammenschluss von
richtigen Hitzköpfen, die es irgendwie geschafft haben, dass die
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